Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
den griechische und armenische Händler große Mengen britischer Industriegüter zum Verkauf im Innern Asiens importierten. Der wachsende Wert dieses Handels für Großbritannien, bemerkte Karl Marx in der New York Tribune , sei an der Börse von Manchester zu erkennen, wo dunkelhäutige griechische Käufer an Zahl und Wichtigkeit zunähmen und wo Griechisch und südslawische Dialekte zusammen mit Deutsch und Englisch zu hören seien. Bis in die 1840er Jahre hinein verfügten die Russen in diesem Teil Asiens nahezu über ein Handelsmonopol für Fertigwaren. Russische Textilien, Taue und Leinenprodukte beherrschten die Basare von Bayburt, Bagdad und Basra. Dampfschiffe und Eisenbahnen ermöglichten jedoch die Eröffnung einer kürzeren Route nach Indien: entweder durch das Mittelmeer nach Kairo und dann von Suez zum Roten Meer oder über das Schwarze Meer nach Trapesunt und über den Euphrat zum Persischen Golf (Segelschiffe konnten nicht so leicht mit den starken Winden und Monsunen des Golfs von Suez oder mit den schmalen Fahrrinnen des Euphrats fertig werden). Die Briten bevorzugten die Euphrat-Route, hauptsächlich weil sie durch vom Sultan (und eben nicht von Mehmet Ali) beherrschte Gebiete führte; ihre Entwicklung bot die Möglichkeit, den britischen Einfluss in diesem Teil des Osmanischen Reiches zu vergrößern und die wachsende Macht Russlands einzuschränken. Im Jahr 1834 erhielt Großbritannien die Erlaubnis von der Hohen Pforte, die Euphrat-Route durch General Francis Chesley vermessen zu lassen. Diese Aktion schlug fehl, und das britische Interesse an der Strecke ging zurück. Allerdings wurden Pläne für eine Eisenbahn durch das Euphrat-Tal vom Mittelmeer zum Persischen Golf über Aleppo und Bagdad in den fünfziger Jahren wiederbelebt, als die britische Regierung ihre Präsenz in einer Gegend verstärken wollte, wo sie eine wachsende russische Gefahr für Indien registrierte (aus Mangel an finanziellen Garantien nahmen die Briten das Projekt nicht in Angriff, aber die Bagdad-Bahn, die Deutschland ab 1903 baute, folgte weitgehend der gleichen Route).
Die russische Bedrohung Indiens war der Albtraum britischer Russophoben. Für manche wurde dies zum eigentlichen Ziel des Krimkriegs: einem Staat Einhalt zu gebieten, der es nicht nur auf die Eroberung der Türkei, sondern auf die Vorherrschaft über ganz Kleinasien bis hin nach Afghanistan und Indien abgesehen hatte. In ihrer überhitzten Fantasie kannten die Pläne Russlands, des am schnellsten wachsenden Reiches der Welt, keine Grenzen.
In Wirklichkeit bestand in den Jahren vor dem Krimkrieg nie ernsthaft die Gefahr, dass die Russen Indien erreichen würden. Letzteres lag viel zu weit entfernt, und es war zu schwierig, eine Armee dorthin marschieren zu lassen, wenngleich der russische Zar Paul I. einmal den verrückten Plan geschmiedet hatte, eine gemeinsame französische und russische Streitmacht nach Indien zu schicken. Der Gedanke war 1807 von Napoleon bei seinen Gesprächen mit Zar Alexander wiederaufgenommen worden. »Je unrealistischer die Expedition ist«, erklärte Napoleon, »desto eher kann sie zur Einschüchterung der Engländer benutzt werden.« Die britische Regierung wusste jedoch stets, dass eine derartige Expedition nicht durchführbar war. Ein britischer Geheimdienstoffizier meinte, dass jeglicher russische Einmarsch in Indien »auf kaum mehr als die Entsendung einer Karawane hinauslaufen würde«. Aber obwohl fast niemand in offiziellen britischen Kreisen glaubte, dass Russland eine ernste Bedrohung für Indien war, hielt dieser Umstand die russenfeindliche britische Presse nicht davon ab, solche Ängste zu schüren, indem sie die potenzielle Gefahr hervorhob, die sich aus der Eroberung des Kaukasus durch Russland und aus seinen »hinterhältigen Aktivitäten« in Persien und Afghanistan ergebe. 29
Die Theorie wurde zum ersten Mal 1828 ausgesprochen: in einem Pamphlet mit dem Titel On the Designs of Russia von Oberst George de Lacy Evans (der zum General aufstieg, als er im Krimkrieg den Befehl über die 2. Infanteriedivision der britischen Armee übernahm). Bei seinen Spekulationen über das Ergebnis des russisch-türkischen Krieges beschwor de Lacy Evans ein schreckliches Szenario russischer Aggression und Expansion herauf, das zur Eroberung ganz Kleinasiens und zum Zusammenbruch des britischen Handels mit Indien führen werde. Seine Arbeitsthese – das rasche Wachstum des Russischen Reiches seit Anfang des 18. Jahrhunderts sei
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