Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Pruth, die Grenze zwischen Russland und der Moldau, überquerten, sollte weniger als die Hälfte noch ein Jahr am Leben bleiben. Die Armee des Zaren verlor erheblich mehr Männer als jedes andere europäische Heer. Soldaten wurden in großer Zahl für relativ unbedeutende Erfolge von adligen höheren Offizieren geopfert, die sich nur am Rande für das Wohl ihrer leibeigenen Wehrpflichtigen, jedoch sehr für ihre eigene Beförderung interessierten, wenn sie ihren Vorgesetzten einen Sieg melden konnten. Die überwältigende Mehrheit russischer Soldaten fiel nicht in der Schlacht, sondern starb an Wunden und Krankheiten, die, hätte es eine angemessene medizinische Versorgung gegeben, vielleicht gar nicht tödlich gewesen wären. Jede russische Offensive brachte die gleiche traurige Geschichte mit sich: In den Jahren 1828/29 starb die halbe Armee in den Donaufürstentümern an Cholera und anderen Krankheiten; während des Polenfeldzugs von 1830/31 fielen 7000 russische Soldaten im Gefecht, doch 85 000 erlagen Verwundungen und sonstigen Leiden; während des Ungarnfeldzugs von 1849 starben nur 708 Männer im Kampf, während 57 000 von österreichischen Lazaretten aufgenommen wurden. Sogar in Friedenszeiten lag die durchschnittliche Krankheitsquote im russischen Heer bei 65 Prozent. 26
Für diese hohe Zahl von Krankheitsfällen war die skandalös schlechte Behandlung der leibeigenen Soldaten verantwortlich. Auspeitschungen gehörten zum alltäglichen Disziplinarsystem; Prügel waren so gängig, dass sich ganze Regimenter aus Männern aufstellen ließen, die von ihren eigenen Offizieren verletzt worden waren. Das Nachschubsystem litt unter verbreiteter Korruption, da der Sold der Offiziere nicht ausreichte – die ganze Armee war durch die kaum zahlungsfähige Zarenregierung chronisch unterfinanziert – , und wenn sie ihren Gewinn von den zur Verfügung stehenden Summen abgeschöpft hatten, war kaum noch Geld für Proviant übrig. Ohne ein effektives Nachschubsystem mussten die Soldaten sich weitgehend selbst versorgen. Jedes Regiment stellte seine Uniformen und Stiefel mit vom Staat bereitgestellten Materialien her. Regimenter beschäftigten nicht nur Schneider und Schuster, sondern auch Friseure, Bäcker, Schmiede, Tischler und Metallarbeiter, Maler, Sänger und Musiker, die alle ihr Dorfgewerbe mit zum Militär brachten. Ohne diese bäuerlichen Fertigkeiten hätte ein russisches Heer, zumal wenn es sich in der Offensive befand, nicht funktionieren können. Der russische Soldat griff während des Marsches auf all seine bäuerlichen Kenntnisse und seine Findigkeit zurück. In seinem Rucksack trug er Verbände bei sich, damit er seine Wunden selbst behandeln konnte. Auch verstand er sich darauf, ohne Vorbereitung unter freiem Himmel zu schlafen – indem er Blätter und Zweige, Heuschober und Getreidefelder benutzte oder sich sogar ein Loch im Boden grub. Diese wichtige Fertigkeit ermöglichte der Armee, lange Märsche zurückzulegen, ohne dass Zelte mitgeführt werden mussten. 27
Während die Russen den Pruth überquerten, befahl die türkische Regierung Omer Pascha, dem Kommandeur der rumelischen Armee, die türkischen Festungen an der Donau zu verstärken und sich auf ihre Verteidigung vorzubereiten. Daneben forderte die Hohe Pforte Verstärkungen aus den osmanischen Besitzungen Ägypten und Tunesien an. Gegen Mitte August lagerten 20 000 ägyptische und 8000 tunesische Soldaten in der Umgebung von Konstantinopel und waren bereit, zu den Donaufestungen aufzubrechen. Ein britischer Botschaftsangehöriger beschrieb sie in einem Brief an Lady Stratford de Redcliffe:
Schade ist’s, dass Ihr den Bosporus bei Therapia nicht sehen könnt. Denn er wimmelt von Kriegsschiffen, und die gegenüberliegenden Höhen sind mit den grünen Zelten des ägyptischen Lagers gekrönt. Konstantinopel selbst hat sich fünfzig Jahre zurückbegeben, und die seltsamsten Gestalten strömen aus fernen Provinzen herbei, um dem Moskowiter einen Schlag zu versetzen. Turbane, Lanzen, Keulen und Streitäxte drängen sich in den schmalen Straßen und werden um eines ruhigen Lebens willen sogleich zum Lager in Schumla weitergeschickt. 28
Die türkische Armee bestand aus vielen Nationalitäten. Sie umfasste Araber, Kurden, Tataren, Ägypter, Tunesier, Albaner, Griechen, Armenier und Angehörige anderer Völker, von denen etliche der türkischen Regierung feindlich gegenüberstanden oder nicht in der Lage waren, die Befehle ihrer türkischen und
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