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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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    Die Briten reagierten zwiespältig auf die russische Besetzung der Fürstentümer. Das friedfertigste Kabinettsmitglied war Premierminister Lord Aberdeen. Er weigerte sich, die Besetzung als kriegerischen Akt zu betrachten – seiner Meinung nach war es nicht einmal ungerechtfertigt gewesen, die Hohe Pforte zur Anerkennung der legitimen russischen Forderungen im Heiligen Land zu zwingen – , und er suchte nach diplomatischen Möglichkeiten für den Zaren, sich ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen. Auf keinen Fall war er gewillt, den türkischen Widerstand zu fördern, denn nichts fürchtete er mehr, als von den Türken, denen er in der Regel misstraute, in einen Krieg gegen Russland hineingezogen zu werden. Im Februar hatte er Lord Russell in einem Schreiben vor der Entsendung einer britischen Flotte zur Unterstützung der Türken gewarnt:
    Diese Barbaren hassen uns alle und wären entzückt, einen Vorteil nutzen und uns in einen Konflikt mit den anderen Mächten der Christenheit verwickeln zu können. Es mag notwendig sein, ihnen moralisch beizustehen und ihre Existenz nach Möglichkeit zu verlängern, doch wir sollten jede Verpflichtung, die uns nötigte, für die Türken zu den Waffen zu greifen, als größtes Missgeschick betrachten.
    Auf der eher kriegerisch gesinnten Seite des Kabinetts hielt Palmerston die Besetzung für einen »feindlichen Akt«, der ein unmittelbares Handeln Großbritanniens »zum Schutz der Türkei« erfordere. Er wollte am Bosporus durch britische Kriegsschiffe Druck auf die Russen ausüben, damit sie aus den Fürstentümern abzogen. Palmerston hatte die russlandfeindliche britische Presse und antirussische Diplomaten wie Ponsonby und Stratford Canning hinter sich, welche die Besetzung der Fürstentümer als Chance für Großbritannien sahen, sein Versäumnis, den Russen 1848/49 an der Donau Widerstand zu leisten, ungeschehen zu machen. 32
    In London gab es seit der vorherigen russischen Besetzung der Fürstentümer eine große Gemeinde von Exilrumänen, die eine einflussreiche Stimme für ein britisches Einschreiten darstellten. Sie erfreuten sich des Zuspruchs mehrerer Kabinettsmitglieder, darunter Palmerston und Gladstone, und einer viel größeren Zahl von Abgeordneten, die im Parlament mit Fragen nach der Donau aktiv wurden. Die rumänischen Führer besaßen enge Verbindungen zu den italienischen Exilanten in der Hauptstadt und gehörten dem von Mazzini gegründeten Demokratischen Komitee an, dem sich mittlerweile auch im Londoner Exil lebende Griechen und Polen angeschlossen hatten. Die Rumänen achteten darauf, sich von den Revolutionsplänen dieser Nationalisten zu distanzieren, und waren sich der Notwendigkeit, ihre Argumente auf die liberalen Interessen der britischen Mittelschicht einzustellen, durchaus bewusst. Mit Hilfe mehrerer überregionaler Zeitungen und Zeitschriften konnten sie der britischen Öffentlichkeit den Gedanken begreiflich machen, dass die Verteidigung der Fürstentümer gegen russische Angriffe von entscheidender Wichtigkeit für die umfassenderen Anliegen der Freiheit und des Freihandels auf dem Kontinent sei. In einer Reihe nahezu täglicher Artikel im Morning Advertiser fiel Urquhart in ihre Rufe nach Intervention in den Fürstentümern ein, obwohl ihm mehr an der Verteidigung der türkischen Souveränität und der britischen Freihandelsinteressen lag als an der rumänischen nationalen Sache. Während sich der russische Einmarsch in die Fürstentümer fortsetzte, wurden die rumänischen Propagandisten kühner und wandten sich auf Vortragsreisen direkt an die Öffentlichkeit. In all ihren Reden war der europäische Kreuzzug für die Befreiung von russischer Tyrannei das Hauptthema – eine Parole, die mit der ihr zugeordneten Vision von einem christlichen Aufstand für die Freiheit im Osmanischen Reich zuweilen extrem versponnen wirkte. Zum Beispiel erklärte Constantine Rosetti vor einer Menschenmenge in Plymouth, dass »eine Armee von 100 000 Rumänen an der Donau bereit stand, um zu den Soldaten der Demokratie zu stoßen«. 33
    Solange der Sinn der russischen Besetzung unklar blieb, zögerte die britische Regierung, die Royal Navy zu entsenden. Palmerston und Russell wollten durch britische Kriegsschiffe am Bosporus verhindern lassen, dass die russische Flotte Konstantinopel angriff; doch Aberdeen hielt die Navy lieber zurück, um einen Verhandlungsfrieden nicht zu gefährden. Am Ende schloss man einen Kompromiss und versetzte die Flotte in

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