Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
der Besika-Bucht, knapp außerhalb der Dardanellen, in Kampfbereitschaft – nahe genug, so die allgemeine Auffassung, um einen russischen Angriff auf die türkische Hauptstadt abzuwenden, doch nicht so nahe, als dass ein Konflikt zwischen Großbritannien und Russland ausgelöst werden konnte. Im Juli nahm die russische Okkupation der Fürstentümer einen ernsteren Charakter an. In den europäischen Hauptstädten trafen Berichte darüber ein, dass die Hospodaren der Moldau und der Walachei von den Russen angewiesen worden seien, die Beziehungen zur Pforte abzubrechen und stattdessen dem Zaren Tribut zu zahlen. Die Nachricht löste Unruhe aus, weil sie vermuten ließ, dass Russland in Wirklichkeit – trotz der gegenteiligen Zusicherungen im Manifest des Zaren – beabsichtigte, dauerhaft von den Fürstentümern Besitz zu ergreifen. 34
Die Reaktion der europäischen Mächte ließ nicht auf sich warten. Die Österreicher mobilisierten 25 000 Soldaten an ihren südlichen Grenzen, hauptsächlich als Warnung an die Serben und andere Habsburger Slawen, nicht zur Unterstützung der russischen Invasion zu rebellieren. Die Franzosen versetzten ihre Flotte in Kampfbereitschaft, und die Briten folgten ihrem Beispiel. Stratford Canning, der die Nachricht vom Befehl an die Hospodaren als Erster gehört hatte und das Versäumnis der Briten, gegen den letzten russischen Einmarsch von 1849 Stellung zu beziehen, wiedergutmachen wollte, sprach sich für eine entschlossene Militäraktion zur Verteidigung der Fürstentümer aus. Er warnte das Foreign Office, dass »die gesamte europäische Türkei, von der Grenze Österreichs bis zu jener Griechenlands«, demnächst den Russen zufallen werde, dass, wenn sie die Donau überquerten, Aufstände von Christen überall auf dem Balkan ausbrechen würden, dass der Sultan und seine muslimischen Untertanen zu einem Krieg mit Russland bereit seien, vorausgesetzt, sie könnten sich auf den Beistand Englands und Frankreichs verlassen, und dass man sich der russischen Gefahr lieber jetzt als später widmen solle, auch wenn es für Großbritannien misslich wäre, in einen Krieg hineingezogen zu werden, dessen Folgen so unberechenbar seien. 35
Die Bedrohlichkeit der russischen Okkupation warf etliche Sicherheitsfragen für die europäischen Mächte auf, von denen keine es sich leisten konnte zuzusehen, wie Russland das Osmanische Reich zerstückelte. Großbritannien, Frankreich, Österreich und Preußen (das sich im Wesentlichen Österreich anschloss) vereinbarten nun, eine gemeinsame Friedensinitiative zu ergreifen. Die diplomatische Führung übernahm Österreich, der Hauptgarant der Wiener Regelung, deren größter Nutznießer es war. Die Österreicher waren für ihren Außenhandel in hohem Maße auf die Donau angewiesen und konnten die russische Annexion der Fürstentümer nicht dulden; andererseits konnten sie sich einen europäischen Krieg gegen Russland, in dem sie wahrscheinlich die schwerste Last tragen würden, am wenigsten leisten. Was sie vorschlugen, erschien unrealistisch: eine diplomatische Lösung, die dem Zaren gestatten würde, ohne Gesichtsverlust seine Forderungen fallenzulassen und sich aus den Fürstentümern zurückzuziehen.
Der Friedensprozess zog einen komplizierten Austausch von diplomatischen Noten zwischen den europäischen Hauptstädten nach sich. Schier endlos wurde an der genauen Formulierung gefeilt, um sowohl die Interessen Russlands zu befriedigen als auch die Unabhängigkeit der Türkei zu unterstreichen. Das Ergebnis war die Wiener Note, welche die Außenminister der vier Mächte am 28. Juli auf einer Konferenz in Wien im Namen der türkischen Regierung aufsetzten. Wie alle diplomatischen Dokumente, die Feindseligkeiten beenden sollen, war die Note bewusst vage gehalten: Die Hohe Pforte erklärte sich bereit, die Vertragsrechte Russlands zum Schutz der orthodoxen Untertanen des Sultans anzuerkennen. Der Zar betrachtete die Note als diplomatischen Sieg und wollte sie am 5. August sofort und »ohne Änderung« unterzeichnen. Die Probleme begannen, als die Türken (die bei der Abfassung der Note nicht einmal konsultiert worden waren) darum baten, verschiedene Details zu klären. Ihre Sorge war, dass dem russischen Recht, sich in osmanische Angelegenheiten einzumischen, keine erkennbare Grenze gesetzt wurde. Diese Sorge sollte sich bald als wohlbegründet erweisen, als ein privates diplomatisches Dokument einer Berliner Zeitung zugespielt wurde. Es zeigte, dass die
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