Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Lebens zu rücken. Franzosen, die 1848 auf entgegengesetzten Seiten der Barrikaden gestanden hatten, sollten nun durch die Verteidigung ihres Glaubens wiedervereinigt werden. 39
Napoleon machte sich diese Idee zunutze. Zweifellos glaubte er, dass ein glorreicher Krieg die Nation mit der tyrannischen Armee seines Staatsstreichs versöhnen werde. Sein Enthusiasmus wurde jedoch nie wirklich vom französischen Volk geteilt, das dem Streit um das Heilige Land und der Orientalischen Frage gegenüber insgesamt gleichgültig blieb, sogar nachdem es von der Schlacht bei Sinope erfahren hatte. Napoleon sprach davon, den »Pfad der Ehre« einzuschlagen und die russische Aggression zu bekämpfen; und es war die Presse, welche die »Empörung der französischen Öffentlichkeit« zum Ausdruck brachte. Doch laut den Berichten der Ortspräfekten waren die gewöhnlichen Menschen ungerührt. Obwohl die Franzosen in viel größerer Zahl als die Briten auf der Krim kämpfen – und sterben – sollten, waren sie über die Kriegsursachen nie so aufgebracht wie ihre Verbündeten. Im Gegenteil, ihnen missfiel der Gedanke an einen Krieg, in dem sie mit den Engländern, ihren traditionellen Feinden, alliiert sein würden. Weithin herrschte die Meinung, Frankreich werde in einen Krieg für britische Imperialinteressen hineingezogen – ein Thema, das die Opposition gegen Napoleon immer wieder ansprach – und dafür den Preis zahlen. Insbesondere die Geschäftswelt lehnte den Krieg ab, da sie mit höheren Steuern und einer Belastung der Wirtschaft rechnete. Man sagte voraus, der Krieg werde vor Ablauf eines Jahres so unpopulär sein, dass Frankreich keine andere Wahl haben werde, als um Frieden nachzusuchen.
Gegen Ende Januar hatten Antikriegsgefühle auch auf das Gefolge des Kaisers übergegriffen. Auf einer Versammlung hoher Amtsträger, die Napoleon einberufen hatte, um über den russischen Protest gegen die Ankunft der französischen und britischen Flotte am 4. Januar im Schwarzen Meer zu sprechen, empfahlen zwei der engsten politischen Verbündeten des Kaisers, Finanzminister Jean Bineau und Staatsrat Achille Fould, eine Einigung mit Russland, um ein Abgleiten in den Krieg zu verhindern. Sie waren besorgt über den Mangel an militärischen Vorbereitungen, denn die Armee war in den ersten Monaten des Jahres 1854 weder mobilisiert noch kriegsbereit, da man sie verringert hatte, um britische Ängste vor einer französischen Invasion nach dem Putsch vom Dezember 1851 auszuräumen. Bineau drohte für den Fall des Kriegsausbruchs sogar mit Rücktritt, da es unmöglich sein werde, die erforderlichen Steuern ohne größere soziale Unruhen zu erheben (eine Drohung, die er nicht wahrmachte). Napoleon sah sich durch diese abweichenden Stimmen so weit ernüchtert, dass er seine Kriegspläne noch einmal überdachte und die Suche nach einer diplomatischen Beilegung der Krise erneuerte. Am 29. Januar schrieb er direkt an den Zaren und bot an, mit Vermittlung Österreichs ein Abkommen auszuhandeln. Als Grundlage dafür könne das Angebot der Franzosen und Briten dienen, ihre Flotten aus dem Schwarzen Meer zurückzubeordern, wenn der Zar seine Soldaten aus den Donaufürstentümern abzog. Napoleons Schreiben wurde umgehend veröffentlicht, womit er der besorgten französischen Öffentlichkeit beweisen wollte, dass er sich mit allen Kräften für den Frieden einsetzte, wie er Baron Hübner, dem österreichischen Botschafter in Paris, anvertraute. 40
Palmerston und seine Kriegspartei behielten die Franzosen aufmerksam im Auge. Ihre Befürchtung war, dass Napoleon einer militärischen Konfrontation mit Russland in letzter Minute ausweichen würde, und sie setzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ein, um seine Entschlossenheit zu festigen und seine Bemühungen um eine diplomatische Lösung zu untergraben. Nicht die Franzosen, sondern die Briten wollten den Krieg, und sie machten sich Anfang 1854 am energischsten dafür stark.
* * *
Den Briten wurde ihre Aufgabe durch die Unversöhnlichkeit des Zaren erleichtert. Am 16. Februar brach Russland die Beziehungen zu Großbritannien und Frankreich ab und rief die Botschafter aus London und Paris zurück. Fünf Tage später lehnte der Zar Napoleons Vorschlag für ein Quid pro quo zum Schwarzen Meer und den Fürstentümern ab. Stattdessen regte er an, dass die westlichen Flotten die Türken daran hindern sollten, Waffen an die russischen Schwarzmeerküsten zu befördern – ein klarer Hinweis auf die
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