Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Osmanen aus Europa verdrängen könnte, und hoffte, dass die Türken mit der Zeit » alle Christen werden würden«). 35 Dieses Hindernis wurde von evangelischen Radikalen beiseitegewischt, welche die Tanzimat-Reformen als Beweis für türkischen Liberalismus und religiöse Toleranz anführten. Manche Kirchenvertreter argumentierten sogar, die Türken hätten zur Verbreitung des Protestantismus im Vorderen Orient beigetragen – ein Gedanke, der sich hauptsächlich auf die Missionarsarbeit der Protestanten im Osmanischen Reich stützte. Da die Hohe Pforte ihnen verbot, Muslime zu konvertieren, hatten sich anglikanische Missionare stattdessen auf Orthodoxe und Katholiken konzentriert, und jeder Bekehrte lieferte Erzählungen über die Übeltaten seines Priesters. Das Thema wurde von Lord Shaftesbury im Oberhaus in einer Debatte über die osmanische Niederschlagung der griechischen Revolten in Thessalien und Epirus aufgegriffen. In einer Rede, die von evangelischem Missionarseifer beflügelt war, führte Shaftesbury aus, dass die Balkanchristen gewissermaßen Opfer der griechisch-orthodoxen Priesterschaft und ihrer russischen Helfer wie auch der türkischen Behörden seien. Was die Bekehrung von Christen zur protestantischen Konfession angehe, schloss Shaftesbury, sei die türkische Herrschaft dem wachsenden Einfluss des Zaren vorzuziehen, der in seinem eigenen Herrschaftsbereich nicht einmal die Benutzung der russischen Bibel zulasse. ******* Sollten die Russen den Balkan erobern, werde sich dort die gleiche Finsternis ausbreiten und jegliche Hoffnung für den Protestantismus sei aufzugeben. Die Hohe Pforte dagegen stehe der Missionarsarbeit der Anglikaner nicht feindselig gegenüber, denn sie sei eingeschritten, um protestantische Konvertiten vor der Verfolgung durch andere Christen zu schützen, und habe dem Protestantismus im Jahr 1850 sogar Millet-Status gewährt (Shaftesbury erwähnte allerdings nicht, dass Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen nach osmanischem Gesetz hingerichtet wurden). Wie viele Anglikaner malte er ein freundliches Bild des Islams, dessen ruhige Rituale mehr mit ihren eigenen Formen des besinnlichen Gebets als mit den lauten und halb heidnischen Bräuchen der Orthodoxen gemeinsam zu haben schienen. Derlei Vorstellungen waren in der evangelischen Gemeinde weit verbreitet. So erklärte ein Sprecher im Dezember auf einer öffentlichen Versammlung, wo man über den russisch-türkischen Konflikt diskutierte, dass »der Türke kein Ungläubiger, sondern Unitarier« sei. »Was die russischen Griechen oder die griechischen Christen betraf«, berichtete der Newcastle Guardian , »wolle er kein Wort gegen ihr Glaubensbekenntnis sagen, doch seien sie eine vernarrte, tanzende, fiedelnde Rasse. Er spreche aus persönlicher Erfahrung.« 36
Die bloße Erwähnung des Sultans genügte, um stürmischen Applaus hervorzurufen. Zum Beispiel verabschiedeten 2000 Menschen bei einer Versammlung in einem Theater in Chester per Akklamation einen Entschluss, in dem die Regierung aufgefordert wurde, dem Sultan »mit den stärksten kriegerischen Maßnahmen« zu helfen, da
es keinen Souverän in Europa gibt, der höhere Ansprüche als der Sultan auf die Unterstützung dieses Landes hat – keinen Souverän, der mehr für religiöse Toleranz leistet, denn er hat religiöse Gleichheit in seinem Herrschaftsgebiet geschaffen. Es wäre keine Beleidigung für Engländer, ihn in eine Reihe mit den Alfreds und Edwards zu stellen, und wenn er in der gegenwärtigen Krise angemessenen Beistand durch die Nationen Westeuropas erhält, wird er seine Besitzungen glücklich und wohlhabend machen und Handelsbeziehungen von gegenseitigem Vorteil zwischen ihnen und Großbritannien herstellen.
Als die Times andeutete, die Balkanchristen könnten den Schutz des Zaren vielleicht der fortgesetzten Herrschaft des Sultans vorziehen, fielen der Morning Herald und der Morning Advertiser , die ihr vorwarfen, unenglisch zu sein, mit schrillen nationalistischen Tönen über sie her: »Sie wird in der englischen Sprache gedruckt, aber das ist das einzig Englische an ihr. Wo es um Russland geht, ist sie durch und durch russisch.« 37
Auch in Frankreich übte die Presse einen starken Einfluss auf Napoleons Außenpolitik aus. Der größte Druck kam von der katholischen Provinzpresse, die seit dem Anfang des Disputs um das Heilige Land einen Krieg mit Russland befürwortete. Nach der Nachricht aus Sinope wurden ihre Rufe immer lauter. »Ein Krieg
Weitere Kostenlose Bücher