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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Ursachen von Sinope. Allein unter dieser Bedingung sei er bereit, mit den Gesandten der Hohen Pforte in St. Petersburg zu verhandeln. Da Nikolaus wusste, dass er mit seiner trotzigen Haltung einen Krieg provozierte, warnte er Napoleon, Russland werde im Jahr 1854 dasselbe sein wie im Jahr 1812.
    Es war eine erstaunlich schroffe Zurückweisung an die Adresse der Franzosen, die dem Zaren die beste Möglichkeit geboten hatten, eine Kraftprobe mit den Briten und Türken zu vermeiden. Der französische Vorschlag enthielt seine letzte Chance, der totalen Isolation auf dem Kontinent zu entgehen. Ende Januar hatte er versucht, Bande zu den Österreichern und Preußen zu knüpfen, indem er den Grafen Orlow nach Wien schickte. Dieser erläuterte, dass der Zar Österreich gegen die Westmächte verteidigen werde (eine offensichtliche Bezugnahme auf Franz Josephs Sorgen, Napoleon könnte in Italien Unruhe für die Habsburger stiften), wenn sie zusammen mit Preußen und den anderen deutschen Staaten eine Neutralitätserklärung unterzeichneten. Die Österreicher aber waren entsetzt über die russische Offensive auf dem Balkan – sie wollten von dem Vorschlag des Zaren, sich an der Zerstückelung des Osmanischen Reiches zu beteiligen, nichts wissen – und machten deutlich, dass sie mit den Russen nur kooperieren würden, wenn die türkischen Grenzen unverändert blieben. Die Gefahr eines serbischen Aufstands zur Unterstützung der russischen Offensive erschien ihnen so bedrohlich, dass sie 25 000 zusätzliche Soldaten an ihre Grenze mit Serbien verlegten. 41
    Am 9. Februar erfuhr Nikolaus, dass Orlows Mission gescheitert war. Damit nicht genug, trafen die Österreicher Vorbereitungen, ihre Streitkräfte ins Innere von Serbien zu schicken, um dessen Besetzung durch russische Truppen zu verhindern. Insofern ist es merkwürdig, dass der Zar seine letzte Chance – Napoleons Angebot – verschmähte, einem Krieg mit den Westmächten aus dem Weg zu gehen, zumal er befürchtet haben muss, dass er ihn verlieren würde, wenn sich auch Österreich gegen Russland wandte. Man ist geneigt, wie manche Historiker zu glauben, dass Nikolaus nun jegliches Augenmaß verloren hatte, dass sich seine angeborene Neigung zu psychischen Störungen – abzulesen an seiner Impulsivität, seinem übereilten Handeln und seiner melancholischen Reizbarkeit – mit der Arroganz verquickt hatte, die ein autokratischer Herrscher nach fast dreißigjähriger Berieselung durch Schmeicheleien erwirbt. 42 In der Krise von 1853/54 benahm er sich zuweilen wie ein unbekümmerter Glücksspieler, der seine Karten überreizt: Nach Jahren geduldigen Spiels, in denen er die Position Russlands im Vorderen Orient aufgebaut hatte, riskierte er alles für einen Krieg gegen die Türken.
    Aber war dies von seinem Standpunkt aus wirklich ein Glücksspiel? Wir wissen aus Nikolaus’ privaten Schriften, dass er Selbstvertrauen und Zuversicht aus Vergleichen mit 1812 bezog. Ständig nannte er den Krieg seines älteren Bruders gegen Napoleon als Grund dafür, dass Russland ohne jegliche Hilfe gegen die Welt bestehen könne. »Wenn Europa mich nötigt, in den Krieg zu ziehen«, schrieb er im Februar, »werde ich dem Beispiel meines Bruders Alexander im Jahr 1812 folgen. Ich werde einen kompromisslosen Krieg gegen den Kontinent wagen, ich werde mich, wenn nötig, hinter den Ural zurückziehen, und ich werde die Waffen nicht niederlegen, solange ausländische Streitkräfte irgendwo über russisches Land trampeln.« 43
    Dies war kein durchdachtes Argument, denn es beruhte weder auf einer Einschätzung der ihm zur Verfügung stehenden Truppen noch auf einer sorgfältigen Reflexion über die praktischen Schwierigkeiten, die Russland im Kampf gegen die überlegenen Kräfte der europäischen Staaten bewältigen musste – Schwierigkeiten, auf die Menschikow und seine anderen Befehlshaber häufig hingewiesen hatten. Mehrfach hatten sie ihn davor gewarnt, durch den Einmarsch in die Donaufürstentümer einen Krieg mit der Türkei und den Westmächten zu provozieren. Das Ganze war vielmehr eine rein emotionale Reaktion, die sich aus dem Stolz und dem Hochmut des Zaren ergab, aus seiner Überschätzung der russischen Macht und des russischen Prestiges und vielleicht vor allem aus seiner zutiefst empfundenen Überzeugung, dass er durch einen Religionskrieg die himmlische Mission Russlands auf Erden zu vollenden habe. Nikolaus war der ehrlichen Meinung, dass er von Gott berufen sei, einen heiligen

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