Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Krieg für die Befreiung der Rechtgläubigen von muslimischer Herrschaft zu führen, und nichts konnte ihn von dieser »göttlichen Sache« abbringen. Wie er dem preußischen König Friedrich Wilhelm im März 1854 erklärte, war er bereit, diesen Krieg allein und auch gegen die Westmächte zu bestreiten, wenn sie Partei für die Türken ergriffen:
Muss ich, der ich nicht für weltliche Vorteile noch für Eroberungen Krieg führe, sondern für einen rein christlichen Zweck, allein gelassen werden, um unter der Fahne des heiligen Kreuzes zu kämpfen und zuzusehen, wie sich die anderen, die sich Christen nennen, um den Halbmond vereinigen und das Christentum bekämpfen? … Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu kämpfen, zu siegen oder ehrenhaft unterzugehen, als Märtyrer unseres heiligen Glaubens, und dies erkläre ich im Namen ganz Russlands. 44
So klangen nicht die Worte eines tollkühnen Spielers, sondern die Berechnungen eines Gläubigen.
Vom Zaren brüskiert, hatte Napoleon keine andere Möglichkeit, als seine Unterschrift dem britischen Ultimatum hinzuzufügen, dem zufolge sich die Russen aus den Fürstentümern zurückzuziehen hätten. Dies war für ihn eine Frage der nationalen Ehre und des Prestiges. In dem Ultimatum, das dem Zaren am 27. Februar geschickt wurde, hieß es, wenn er nicht innerhalb von sechs Tagen antworte, werde automatisch ein Kriegszustand zwischen den Westmächten und Russland bestehen. Da von Friedensgesprächen keine Rede mehr war – dem Zaren blieb die Möglichkeit versagt, entsprechende Vorschläge zu machen – , hatte das Ultimatum zweifellos das Ziel, den Krieg zu beschleunigen. Man setzte voraus, dass der Zar das Ultimatum verwerfen werde – tatsächlich hielt er es für unter seiner Würde, auch nur darauf zu reagieren – , weshalb die Westmächte nun so handelten, als wäre der Krieg bereits erklärt. Ende Februar mobilisierten sie ihre Streitkräfte.
Antoine Cetty, der Quartiermeister der französischen Armee, schrieb am 24. Februar an Marschall de Castellane:
Der Zar hat negativ [auf Napoleons Schreiben] reagiert; damit können wir uns nur auf den Krieg vorbereiten. Der Kaiser beabsichtigte, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um kein Expeditionskorps in den Orient schicken zu müssen, aber England hat uns durch sein Vorpreschen mit in den Krieg gerissen. Wir konnten unmöglich zulassen, dass eine englische Fahne ohne unsere eigene an den Mauern von Konstantinopel gehisst wird. Wo immer England auf eigene Faust auftritt, wird es rasch zum alleinigen Herrn und lässt seine Beute nicht los.
Das brachte es auf den Punkt. Im Moment der Entscheidung über den Krieg hatte Napoleon gezögert, doch letzten Endes benötigte er das Bündnis mit den Briten, und er hatte Angst, bei der Verteilung der Beute leer auszugehen, wenn er sich ihnen nicht bei der Verteidigung der westlichen Interessen im Vorderen Orient anschloss. Genau das gestand der französische Kaiser am 2. März in einer Rede vor dem Senat und der Gesetzgebenden Versammlung:
Frankreich hat ein genauso großes Interesse wie England – vielleicht ein größeres –, zu gewährleisten, dass sich der Einfluss Russlands nicht permanent auf Konstantinopel erstreckt. Denn in Konstantinopel zu herrschen bedeutet, über das Mittelmeer zu herrschen. Und ich glaube, keiner von Ihnen, meine Herren, wird behaupten, dass nur England ein vitales Interesse an diesem Meer habe, welches über 300 Ligen unserer Küsten hinwegschwappt … Warum ziehen wir nach Konstantinopel? Wir ziehen zusammen mit England dorthin, um die Sache des Sultans zu verteidigen und, was nicht weniger wichtig ist, um die Rechte der Christen zu schützen; wir ziehen dorthin, um die Freiheit der Meere und unseren rechtmäßigen Einfluss im Mittelmeergebiet zu verteidigen. 45
In Wirklichkeit war keineswegs klar, wofür die Verbündeten kämpfen würden. Wie so viele Kriege begann die alliierte Expedition in den Orient damit, dass niemand so recht wusste, worum es ging. Es sollte Monate dauern, bis sich die Westmächte 1854 in langwierigen Verhandlungen untereinander und mit den Österreichern über die Kriegsgründe verständigten. Sogar nachdem die Verbündeten im September auf der Krim gelandet waren, konnte von einer Einigung über die Kriegsziele noch längst keine Rede sein.
Franzosen und Briten hatten von Anfang an unterschiedliche Vorstellungen. Im März hielten sie in Paris eine Reihe von Konferenzen ab, um über Ziele und Strategie zu sprechen.
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