Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
setzte sich wie eine Dame dem Großvater gegenüber und kam sich sehr erwachsen vor.
»Deine Mutter sagt, du wärst sehr gut im Ballett.«
»Ja, recht gut.« Selbst mit ihren zwölf Jahren war Kris klar, dass sie sich nicht richtig an dem Zwiegespräch beteiligte. Aber was konnte sie schon jemandem wie ihrem Uropa sagen?
»Ich mag Orbitalskiffrennen. Jemals an Rennen teilgenommen?«
»Nee. Manche Kinder von der Schule machen es.« Kris war richtig aufgeregt. Dann kam sie jedoch wieder zu sich. »Aber Mutter sagt, es wäre viel zu gefährlich. Und nichts für eine richtige junge Dame.«
»Das ist interessant«, sagte Opa Trouble, lehnte sich im Sessel zurück und reckte die Hände hoch. »Vergangenes Jahr hat ein M ädchen die Juniorenmeisterschaft von Savannah gewonnen. Es war nicht viel älter als du.«
»Echt nicht?!« Kris starrte ihn mit großen Augen an. Sie konnte es kaum glauben, obwohl es von Opa kam.
»Ich habe für morgen ein Skiff gemietet. Möchtest du ein paar Absprünge mit mir machen?«
Kris zappelte in ihrem Sessel herum. »Mutter würde mir das nie erlauben.«
Opa legte die Hände auf den Tisch, nur ein paar Zentimeter von Kris’ Händen entfernt. »Harvey hat mir erzählt, dass deine Mama samstags normalerweise ausschläft. Ich könnte dich um sechs Uhr abholen.« Später sollte Kris erfahren, dass Opa Trouble und der Chauffeur der Familie in dieser Sache unter einer Decke steckten. In diesem Augenblick war Kris jedoch viel zu aufgeregt über das Angebot, um zwei und zwei zusammenzuzählen.
»Könntest du?«, entfuhr es Kris schrill. Sie erinnerte sich gar nicht mehr daran, wann sie zuletzt allein so früh aufgestanden war. Sie erinnerte sich auch nicht mehr daran, wann sie zuletzt etwas unternommen hatte, was nicht auf Mutters oder Vaters Liste der wünschenswerten Handlungen stand. Sie erinnerte sich nicht daran, weil es bedeutet hätte, sich zu erinnern, wie das Leben mit Eddy gewesen war. »Das fände ich toll!«, sagte sie.
»Eines noch«, sagte Opa Trouble, streckte die braun gebrannten, schwieligen Hände über den Tisch aus und ergriff damit ihre kleinen weichen Hände. Dabei sprang beinahe ein elektrischer Schlag über. Opa Trouble blickte Kris in die Augen und durchschaute das kleine Mädchen, das sie so vielen Menschen erfolgreich vorspielte. Kris saß da und hatte nur noch sich selbst, um sich daran festzuhalten. »Deine Mutter hat Recht. Skiffrennen können gefährlich sein. Ich nehme dazu nur Leute mit, die stocknüchtern sind. Das ist doch kein Problem für dich, oder?«
Kris schluckte schwer. Sie hatte so heftig über Opa Troubles Geschichten gelacht, dass sie beim Abendessen gar nicht heimlich ge t runken hatte. Sie hatte seit dem Mittagessen in der Schule keinen Schluck mehr gehabt. Stand sie so die Nacht durch? »Es wird kein Problem sein«, versicherte sie ihm.
Und irgendwie schaffte sie das. Es war nicht leicht; sie wachte zweimal auf und weinte um Eddy. Dann dachte sie jedoch an Opa und die ganzen Geschichten, die sie von anderen Kindern auf der Schule gehört hatte. Wie toll es war, wenn man die Sterne über sich sah und auf einer Sternschnuppe gen Erdboden surfte, und irgendwie konnte es sich Kris verkneifen, auf Zehenspitzen die Treppe zu Vaters Bar hinunterzuschleichen.
Kris hielt die Nacht durch, stand dann auf dem oberen Treppenabsatz und blickte zu Opa Trouble hinab, der geduldig wartend auf den schwarzen und weißen Fliesen der Eingangshalle stand und in seiner grünen Uniform so prachtvoll aussah. Kris balancierte sorgsam wie in einer Ballettstunde, während sie die Treppe hinabschritt und Opa demonstrierte, wie nüchtern sie war. Sein Lächeln fiel schmal und knapp aus und ähnelte ganz und gar nicht dem breiten Lächeln, das Vater gegenüber all seinen politischen Freunden aufblitzen ließ. Opas strenges kleines Lächeln bedeutete Kris jedoch mehr als alles, was sie je von ihrem Vater oder ihrer Mutter erhalten hatte.
Drei Stunden später saß Kris im Raumanzug auf dem Vordersitz eines Skiffs angeschnallt; Opa Trouble drückte die Freigabetaste, und sie fielen aus der Raumstation. Oh, was für ein Flug!
Kris sah Sterne in solcher Nähe, dass sie sie beinahe hätte anfassen können. Sie spürte die Verlockung, den Gurt zu öffnen und in die Dunkelheit hinaus zu schweben, wie eine Sternschnuppe niederzugehen und gegenüber dem toten kleinen Eddy so viel wiedergutzumachen, wie sie konnte. Das durfte sie jedoch nicht Opa Trouble antun, nach all den
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