Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
wecken. Irgendwo hinter ihr schrie jemand in einen Kommlink. »Agenten ausgeschaltet! A genten ausgeschaltet! Löwenzahn nirgendwo zu sehen! Ich wiederhole, Löwenzahn wird vermisst!«
Eine blinkende rote Lampe lockte Kris’ Blick an. »Du hast es wieder getan!«, knurrte sie sich selbst an, während sie in Gedanken sofort zur anstehenden Aufgabe zurückkehrte. Aus dem Landehangar wurde die Luft abgepumpt, womit Kris und ihren Soldaten nur noch das an Atemluft verblieb, was die Sprungmonturen bereitstellten. Kris kontrollierte sämtliche ihrer Anzeigen. Ihre Montur war in gutem Zustand, soweit man es von Material der Raumflotte erwarten konnte. Ähnlich sah es bei allen ihren Soldaten aus. »Sind startklar«, meldete sie.
Begleitet von einem dumpfen Schlag in Kris’ Rücken glitt das LSB in den lautlosen, schwarzen Raum hinaus. Tommy ließ sie nur den einen Augenblick lang treiben, den Kris brauchte, um einen guten Eindruck von der Taifun zu erhaschen. Die Schiffshülle aus Smart Metal war dünn gestreckt, damit die Mannschaft für die Zeit im Orbit Einzelkabinen und rotationserzeugte Schwerkraft genießen konnte. Bug und Heck zeigten stolz die blaue und grüne Flagge des Staatengebildes, das Society of Humanity hieß, Gesellschaft der Menschheit. Dann sprang das Triebwerk des LSB an, und der Steuerknüppel bewegte sich, während Tommy die beiden Boote Richtung Atmosphäre lenkte.
Na ja, wenn Tommy schon die Arbeit leistete, konnte Kris die Zeit dafür nutzen, sich die Lage auf dem Planeten noch einmal anzusehen. »Nelly, zeig mir die Echtzeitsignale vom Zielgebiet«, sagte Kris lautlos. Die Jagdhütte erschien im Blickfelddisplay. Die Schatten mehrerer Dutzend Menschen zeigten sich in der Infrarotaufnahme. Sechs oder acht bewegten sich rings um das Gebäude … immer zu zweit. Aufgrund der Garantie, mit der jeder Menschenwärmeköder verkauft wurde, hätte Kris eigentlich nicht wissen dürfen, dass dort nur fünf echte Menschen waren.Gott sei Dank hielten sich die Hersteller bislang an das Schweigeversprechen, das ihnen die Regierung abgerungen hatte.
Seit zehn Jahren hatten die Finsterlinge nicht spitzgekriegt, dass 37 Grad nur die durchschnittliche Körpertemperatur eines Menschen waren. So spät am Abend wie jetzt sank die Körperwärme der meisten Menschen auf 36 Grad oder leicht darunter. In den sechs Zimmern des Obergeschosses lagen die Wärmesignaturen von sechs kleinen Mädchen auf Betten angekettet. An den beiden Enden des Flurs saß je ein Pistolero und hielt sich bereit, bei den ersten Zeichen eines Rettungseinsatzes in das eine Zimmer zu stürmen, in dem das echte entführte Mädchen lag, und sie umzubringen. Dank der Sensoren einer fünfzig Gramm schweren Spähdrohne, die 1 000 Meter über der Blockhütte schwebte, wusste Kris, dass nur ein Gangster dort oben saß – und sie wusste, in welchem Zimmer das verängstigte Mädchen zu finden war.
Verängstigt! Kris knirschte mit den Zähnen und blickte zum LSB hinaus, um den Planeten zu betrachten, der langsam unter ihr rotierte. Sie bemühte sich, um keinen Preis den Nerv zu treffen, der sie zurück an das Grab ihres kleinen Bruders führen würde. Zumindest hatten die hiesigen Entführer ihr Opfer nicht unter Tonnen von Dünger begraben; ein sechsjähriges Kind, dessen einzige Rettungsleine zur Welt ein beschädigtes Luftrohr gewesen war.
In der Schule hatte Kris die Gespräche anderer Schüler mitgehört, die behaupteten, dass Eddy schon stundenlang tot gewesen sei, als die Eltern das Lösegeld zahlten. Kris wusste nicht, ob das zutraf. Sie schaffte es bei manchen Berichten einfach nicht, sie zu lesen, und manche Mediensendungen hielt sie nicht bis zum Ende aus.
Eine Sache, der sie keine Sekunde lang ausweichen konnte, waren jedoch die Was-wäre-wenn-Fragen. Was, wenn Kris nicht Eis holen gegangen wäre? Was, wenn die Finsterlinge Nannaund Eddy und Kris hätten überwältigen müssen? Was hätte eine ungestüme Zehnjährige für ihre Pläne bedeutet?
Kris schüttelte den Kopf und verbannte die entsprechenden Bilder. Wenn sie zu lange dabei verweilte, kamen ihr die Tränen. Ein Raumanzug war nicht der richtige Platz für Tränen.
Kris konzentrierte sich auf den Planeten in der Tiefe. Die Trennlinie zwischen Tag und Nacht lag voraus, wo der grüne und blaue, wolkenverhangene Globus in Dunkelheit überging – in Dunkelheit und Stürme. Für einen nächtlichen Überraschungsangriff benötigten Orbitaljäger Donner, um die
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