Kristall der Macht
Meinung waren, war, dass keiner der Männer und Frauen, die sich da unten freiwillig zum Kampf gemeldet hatten, die bevorstehende Schlacht überleben würde.
»Sie haben Hunger und sind völlig verzweifelt«, hörte sie Kaori sagen. »Du hast die Worte des Generals gehört. Für einen Laib Brot würden sie alles tun. Und sie wollen nicht bis morgen warten.«
»Und am Strand warten noch einmal mehr als einhundert zusätzliche hungrige Flüchtlinge darauf, Nahrung und Hilfe zu bekommen.« Noelani seufzte. »Nun weiß ich, was du damit gemeint hast, als du zu mir sagtest, es würde nicht leicht werden.«
»Ich wünschte, ich hätte dir bessere Nachrichten überbringen können. Angesichts der Not in diesem Land wage ich ernsthaft zu bezweifeln, dass ihr hier Hilfe finden werdet.«
»Du meinst, die Edelsteine sind hier wertlos? Ich kann sie nicht so verwenden, wie ich es erhofft hatte?« Selten hatte Noelani sich so mutlos gefühlt. Die fünf Edelsteine gegen Land, Kleidung und Nahrung einzutauschen, war ihre große Hoffnung gewesen. Aber nun …
»Ich fürchte, ja«, antwortete Kaori. »Nahrung und Waffen sind es, die hier dringend gebraucht werden.«
»Und beides besitzen wir nicht.« Noelani schwieg lange, dann sagte sie: »Sei’s drum. Ich habe keine Wahl. Die Überlebenden unseres Volkes benötigen Wasser, Nahrung, Kleidung und vor allem ein Dach über dem Kopf. Die Verletzten müssen versorgt werden. Ich kann nicht anders. Ich muss den König aufsuchen und ihn bitten, uns aufzunehmen. Ich muss den Menschen von Nintau helfen. Irgendwie. Das bin ich ihnen schuldig.«
»Versuchen kannst du es.« Kaori sprach ohne große Zuversicht. »Aus der Zeit, da noch Schiffe nach Nintau kamen, wissen wir immerhin, dass Könige Gold und Edelsteine über alles begehren. Ob das hier, unter diesen Umständen, auch noch der Fall ist, wage ich zu bezweifeln.«
»Dann müssen wir es herausfinden.« Noelani hatte genug gesehen und schickte sich an, die Geistreise zu beenden. »Sobald es morgen hell wird, werde ich mich auf den Weg in die Stadt machen und dem König mein Angebot unterbreiten.«
»Ein mutiger Entschluss«, sagte Kaori und fügte hinzu: »Ich wünsche dir viel Erfolg, Schwester. Möge die Gier nach Reichtum unserem Volk Glück bringen und den Grundstein für eine bessere Zukunft legen.«
* * *
»Ich sage dir, mit dem neuen Schmied stimmt etwas nicht.« Nuru hatte den ganz Nachmittag vor Olufemis Zelt ausgeharrt und darauf gewartet, dass dieser Zeit fand, ihn anzuhören. Als er endlich eingelassen wurde, hielt er sich nicht mit langer Vorrede auf und kam gleich zur Sache.
»Wie meinst du das?« Olufemi saß in einem gepolsterten Stuhl nahe der Feuerstelle und blickte stirnrunzelnd zu Nuru auf. »Liefert er schlechte Arbeit ab?«
»Nein, nein. Das nicht«, beeilte sich Nuru zu erklären. »Es ist sein Verhalten, das mir Sorgen bereitet.«
»Inwiefern?«
»Nun, er … er hat seinen Sklaven zu sich ins Zelt genommen.« Nuru schaute zu Boden, wohl wissend, welche Tragweite seine Worte haben konnten. Sie mochten unverfänglich klingen, enthielten aber eine unmissverständliche Andeutung auf einen der schlimmsten Frevel, dessen ein Rakschun sich schuldig machen konnte. In einer Gesellschaft, die das Ansehen eines Mannes an der Zahl seiner Gebärfrauen und den männlichen Nachkommen maß, wurde eine innige Beziehung unter Männern nicht geduldet. »Er bewirtet ihn mit Speisen, die einem Sklaven nicht zustehen, und stellt sich schützend vor ihn, wenn eine Strafe angebracht wäre«, fuhr Nuru fort. »Natürlich kann ich mich täuschen, aber ich habe das Gefühl, dass er mehr in dem Sklaven sieht als nur einen Schmiedegehilfen.«
»Das ist eine schwere Anschuldigung.« Nicht die kleinste Regung in Olufemis Stimme ließ erahnen, wie er über die Sache dachte. »Hast du Beweise?«
»Nein.«
»Nun, dann werde ich auch nichts unternehmen.« Für Olufemi schien die Sache damit erledigt. »Ich werde niemandem vorschreiben, wie er seinen Sklaven zu behandeln hat, solange es nicht zum Schaden des Heeres ist. Außerdem können wir es uns nicht leisten, so kurz vor dem Angriff auch nur auf einen einzigen Schmied zu verzichten. Wir erhalten täglich Verstärkung von unseren Verbündeten jenseits der Steppe und haben aber immer noch nicht genug Pfeile, Speere und Schwerter.«
»Ich verstehe.« Nuru deutete eine Verbeugung an. »Ich wollte meinen Verdacht nur nicht für mich behalten.«
»Es schadet nichts, wenn du
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