Kristall der Macht
Noelanis Frage, wie das möglich sei, hatte Triffin nur knapp geantwortet, jemand hätte vom Palast aus eine Taube mit der Nachricht ihrer Ankunft zum Heerlager vorausgeschickt. Dann hatte er sich wieder dem stellvertretenden Heerführer zugewandt, der es nicht erwarten konnte, Triffin mitzuteilen, was während seiner Abwesenheit vorgefallen war. Die Antwort hatte Noelani nicht wirklich zufriedengestellt, aber sie dachte nicht weiter darüber nach und freute sich einfach nur, dass sie sich auf dem weichen und mit wärmenden Fellen bedeckten Bett ausstrecken konnte.
»Wenn wieder Nebel aufzieht, hast du es morgen um diese Zeit bereits hinter dir«, hörte sie Jamak sagen, der sich an den Tisch gesetzt hatte und von den bereitgestellten Speisen kostete. »Hast du Angst?«
»Wovor?«
»Dass die Rakschun dich erwischen könnten oder etwas anderes fehlgeht.«
»Mach dir keine Sorgen, die Rakschun erwischen mich nicht«, sagte Noelani. »Du weißt doch, dass ich im Boot bleiben werde. Fürst Rivanon wird den fünf Kriegern genaue Anweisungen geben, wo sie die Kristalle abzulegen haben. Wenn das geschehen ist, muss ich nur noch die Magie anrufen, und alles ist vorbei.«
»Klingt einfach.«
»Das ist es auch.« Noelani lächelte versonnen und seufzte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas misslingt, solange der Nebel über dem Fluss dicht genug ist und wir unbemerkt an Land gehen können.« Sie schloss die Augen, genoss die Ruhe im Lager und die Wärme unter der Felldecke und murmelte: »Dann wird endlich alles gut.«
Für eine Weile hatte sie noch das Gefühl, der Untergrund, auf dem sie lag, würde schaukeln, so wie er es in den zwei Tagen der Reise auf dem Planwagen getan hatte. Dann übermannte sie der Schlaf.
* * *
Prinz Kavan saß am Ufer des Gonwe, starrte in den Nebel, der den Fluss und die Welt um ihn herum verschlungen hatte, und ärgerte sich. Es war der dritte Abend, den er allein abseits des Heerlagers verbrachte. Der Proviant, den er in Arkons Zelt eingesteckt hatte, war fast aufgebraucht, das Feuerholz feucht und seine Kleidung klamm und kalt vom Nebel.
Ich hätte längst drüben sein können, dachte er bei sich und ärgerte sich gleich noch ein wenig mehr, weil er so unentschlossen gewesen war.
Nachdem er das Heerlager verlassen hatte, hatte er sich flussabwärts am Ufer des Gonwe einen Unterschlupf gesucht. Eine kleine Aushöhlung in der steilen Böschung, die Schutz vor Wind und Regen versprach und ihm einen guten Ausblick auf das bot, was fast dreißig Jahre lang sein Heimatland gewesen war, erschien ihm dafür gerade recht. Er hatte beschlossen, dort zu verweilen, um nachzudenken, während die Rakschun sich auf den bevorstehenden Angriff vorbereiteten und die Truppen von Baha-Uddin am anderen Flussufer völlig ahnungslos erschienen. Zwei Tage lang hatte Prinz Kavan das Lager auf der anderen Seite beobachtet und mit sich gerungen. Sein Pflichtgefühl sagte ihm, dass er hinüberschwimmen und die Krieger warnen musste. Sein Verstand aber warnte ihn vor der Gefahr und hielt dem entgegen, dass Arkon den Heerführern die Nachricht sicher längst hatte zukommen lassen, denn sonst hätten sie ihm nicht befohlen, das Lager zu verlassen. Allerdings waren all das nur Vermutungen, für die er keine Beweise hatte. Wenn er sichergehen wollte, das wurde ihm mit der Zeit bewusst, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als den Fluss tatsächlich schwimmend zu durchqueren und die Heerführer selbst vor dem Angriff zu warnen. Besser, eine Nachricht wurde doppelt überbracht als nie.
Drei Dinge hatten ihn bisher davon abgehalten, dies in die Tat umzusetzen. Das Wasser des Gonwe war kalt und der Fluss strömte sehr schnell dahin. Soweit er sich erinnern konnte, hatte es bisher nur sein Freund Pever geschafft, den Fluss aus eigener Kraft schwimmend zu durchqueren. Außerdem hielt man ihn in der Heimat sicher schon lange für tot. Mit der Sklavenkleidung der Rakschun und der ausgemergelten Erscheinung würde in ihm niemand den vermissten Prinzen erkennen, und vermutlich würde ihm auch kein Wachtposten Glauben schenken, wenn er behauptete, Kavan zu sein.
Hin- und hergerissen zwischen Pflichtgefühl und der Furcht vor dem Ungewissen, hatte er einen Tag und noch einen verstreichen lassen, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Am dritten Nachmittag hatte schließlich das Pflichtgefühl gesiegt, und er hatte sich dazu durchgerungen, bei Einbruch der Dunkelheit den Weg durch das Wasser zu
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