Kristall der Macht
dir?« Der König war aufgebracht, und auch die anderen Ratsmitglieder starrten voller Abscheu auf den ärmlich wirkenden Mann, der sich nicht um ihre Schmährufe scherte, selbstbewusst näher trat, in respektvollem Abstand verharrte und sich höflich verneigte.
»Das ist Mael!«, stellte Triffin den Hinzugekommenen vor. »Er ist der Messerschmied am Hofe, aber das tut hier nichts zur Sache. Viel wichtiger als sein Handwerk ist das, was er euch nun zeigen wird.« Er gab dem Schmied ein Zeichen, worauf dieser das Tuch über dem Käfig entfernte. Ein Raunen lief durch den Saal, als die Ratsmitglieder erkannten, was darunter zum Vorschein kam.
»Eine Sprenkeltaube?« Fürst Rivanon schaute Triffin empört an. »Es ist wirklich unglaublich. Da kommen wir hier zusammen, um darüber zu beraten, wie wir unsere Heimat vor den barbarischen Feinden beschützen können, und du denkst ans Essen.«
»Galan ist nicht hier, um als Festbraten zu enden«, mischte sich der Messerschmied ungefragt ein, was erneut zu heftigen Unmutsbekundungen führte.
»Ah, Galan!« Rivanon ging nicht auf das ungebührliche Verhalten des Fremden ein. Er erhob sich, schritt um den Tisch herum und trat vor den Käfig, die eine Hand an den dünnen Kinnbart gelegt wie ein Koch, der auf dem Markt die Ware für die nächste Mahlzeit begutachtete. Dann sagte er: »Das ist der erste Braten, der mir begegnet, der einen Namen trägt.«
Schallendes Gelächter löste die Anspannung, die alle ergriffen hatte, doch der Frohsinn war nur von kurzer Dauer.
»Du hast nicht richtig zugehört, junger Freund«, tadelte Triffin höflich. »Diese Taube ist viel zu wertvoll, um sie zu verspeisen.«
»Sie ist etwas dünn, aber wertvoll?« Rivanon schaute den General herausfordernd an. »Ich kann an ihr nichts von Wert erkennen.«
»Sie ist eine kluge Taube.« Wieder mischte sich der Messerschmied ungefragt ein. »Was man von einigen in dieser Runde nicht …«
»Genug!« Triffins befehlsgewohnte Stimme ließ den Messerschmied abrupt verstummen. Der General bemerkte sehr wohl, dass Mael dabei war, sich um Kopf und Kragen zu reden, und spielte seinen letzten Trumpf aus: »Diese Taube hat schon in den frühen Morgenstunden die Kunde vom Tode General Xederics an den Hof getragen. Er starb im Morgengrauen an den Folgen seiner schweren Verletzungen.«
»Xederic!«
»Xederic ist tot?«
»Bei den Pforten des Antavta!«
Bestürzung, Entsetzen und Trauer wechselten in rascher Folge auf den Gesichtern der Anwesenden. Aber es gab auch Zweifler. »Das glaube ich erst, wenn der Bote mit der Todesnachricht hier eintrifft.« Fürst Rivanons Stimme erhob sich klar und deutlich über das allgemeine Stimmengewirr.
»Er wird kommen!« Triffin ließ sich nicht beirren. Auch er trauerte um den Freund, den er verloren hatte, aber die langen Jahre des Kämpfens und Abschiednehmens hatten ihn hart gemacht und gelehrt, seine Gefühle vor den anderen zu verbergen. »Dann werdet ihr erkennen, dass der Messerschmied mit seinen Tauben einen wahren Schatz beherbergt, den zu nutzen wir uns nicht entgehen lassen dürfen.« Er drehte sich um, schaute den König an und fragte direkt: »Wie denkt Ihr darüber, Majestät?«
Augenblicklich trat Stille ein. Alle Blicke waren nun auf König Azenor gerichtet, der die hitzige Auseinandersetzung mit stoischer Ruhe verfolgt hatte. Dieser ließ sich wie immer die Zeit, seine Antwort sorgsam abzuwägen, ehe er die Haltung ein wenig straffte und sagte: »Nun, ich gebe zu, ich finde den Gedanken an einen schnellen Boten sehr reizvoll. Allerdings steht der Beweis für die Richtigkeit der vorgetragenen Worte noch aus. Sobald dieser erbracht ist – oder auch nicht –, werde ich meine Meinung dazu kundtun.«
Es war nicht zu übersehen, dass die diplomatische Antwort niemanden im Saal wirklich zufriedenstellte, dennoch gab Triffin sich zuversichtlich. »Dann gehe ich davon aus, dass die Tauben schon bald in Eure Dienste treten werden.«
»Wir werden sehen.« Der König lächelte vielsagend und sagte: »Da wir nun schon einmal beisammensitzen, wäre es sehr reizvoll zu erfahren, wie die Tauben die Nachrichten überbringen. Sie werden sie ja wohl kaum im Schnabel halten. Vor allem aber, General, bin ich daran interessiert, wie der Plan mit dem stummen Schmied und der Taube umgesetzt werden soll.«
»Die Tauben überbringen die Nachrichten, indem ihnen das Pergament ans Bein gebunden wird«, antwortete der Messerschmied wie selbstverständlich.
»Und woher
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