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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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Augen gehörte und deren Klang er fast noch mehr fürchtete als den Blick. »Tu es jetzt!«
    Taro wünschte, er könne sich unsichtbar machen. Er war zehn Jahre alt, ein Kind noch, und alles in ihm sträubte sich dagegen, den Befehl auszuführen. »Ich … ich kann nicht«, presste er mit dünner Stimme hervor, demütig wie ein geprügelter Hund, so wie er es immer tat, wenn er diesem Mann gegenüberstand und dieser ihn seine Macht spüren ließ.
    Die Wucht, mit der die Hand des Mannes seine Wange traf, schleuderte ihn zu Boden. Beißender Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, aber es blieb ihm keine Zeit zu klagen. Schon im nächsten Augenblick wurde er brutal hochgerissen. Und wieder sah er sich dem Blick der eisblauen Augen ausgeliefert.
    »Kannst du es jetzt?« Das war keine Frage, es war ein Befehl.
    Taro schluckte gegen die Tränen an. Sein Blick streifte die Sprenkeltaube, die der Mann ihm mit einer Hand entgegenhielt. Eine hübsche, rotbunte mit klugem Blick. Taros Wange brannte wie Feuer, tief in ihm brannte der Hass. Er wusste, was ihn erwartete, trotzdem schüttelte er den Kopf. »Nein.«
    Er sah die Hand kommen und hätte sich wegducken können, aber er tat es nicht. Einmal hatte er das gewagt, und was darauf gefolgt war, wollte er nicht noch einmal erleben. Der Schmerz raubte ihm das Bewusstsein. Als das Zerrbild vor seinen Augen Konturen annahm, stand er bereits wieder und sah sich erneut der unschuldigen Sprenkeltaube gegenüber.
    »Jetzt?« Die gefürchtete Stimme bebte vor Zorn.
    Taro biss sich auf die Lippen und schwieg.
    »Tu – was – ich – dir – sage.« Der Mann betonte jedes Wort auf so unheilvolle Weise, dass Taro eine eisige Kälte in der Magengegend spürte. Aber da war etwas in ihm, das mächtiger war als die Furcht. Etwas, das sich in den Augen der Taube spiegelte und sein Herz berührte. »Ich …«
    »Ich mache das.«
    Taro schaute auf und sah einen Halbwüchsigen auf sich zukommen. Wie selbstverständlich nahm er dem Mann die Sprenkeltaube aus der Hand und brach ihr mit einer fast beiläufigen Handbewegung das Genick. »So geht das!«, sagte er voller Verachtung an Taro gewandt, während er dem Mann die leblose Taube reichte. Dieser nahm sie entgegen und lächelte. Die Strenge in seinem Blick wich Stolz und Hochachtung, als er dem Halbwüchsigen anerkennend über das dunkle Haar strich und sagte: »So ist wenigstens einer von euch ein Mann.«
    »Vater, bitte … ich …!« Keuchend fuhr Taro aus dem Schlaf auf. Sein Herz schlug heftig, und tief in sich spürte er noch immer den Hass lodern, der ihn aus dem Traum in die Wirklichkeit begleitet hatte. Im Zelt war es dunkel. Es dauerte nur einen Augenblick, bis er wusste, wo er war. Das Herzklopfen und das Hassgefühl aber konnte er nur langsam abschütteln.
    Vater! Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Er hatte seinen Vater gesehen. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Auch wenn der Traum ihm nur die Augen und die Stimme offenbart hatte, so wusste er doch ganz sicher, dass er ihm ein Stück Erinnerung an seine Kindheit zurückgegeben hatte.
    Ich habe meinen Vater gefürchtet und gehasst. Seltsamerweise erschreckte ihn der Gedanke nicht. Vermutlich, weil er es schon immer gewusst, aber vergessen hatte. Wie nahezu alles, was er erlebt hatte, bevor er als Sklave in das Lager der Rakschun gebracht wurde. So war er auch für diesen Traum dankbar, obwohl er ihm keine guten Erinnerungen beschert hatte.
    »So ist wenigstens einer von euch ein Mann.« Die Worte, die sein Vater im Traum gesprochen hatte, gingen ihm nicht aus dem Kopf. Offenbar war sein Vater sehr streng gewesen und hatte ganz eigene Vorstellungen davon gehabt, wie sein Sohn sein sollte.
    Aber wer mochte der Halbwüchsige gewesen sein, der die Taube an seiner statt getötet hatte? War es möglich, dass er einen Bruder hatte? Taro versuchte, sich zu erinnern, aber wie immer brachte der Versuch ihm auch diesmal nur heftige Kopfschmerzen ein. Es war zum Verrücktwerden. Die Erinnerungen kamen immer dann, wenn er am wenigsten damit rechnete. Wenn er sich hingegen zu erinnern versuchte, zeigten sich die Bilder nicht.
    Seufzend legte er sich wieder hin und schloss die Augen. Der Traum war kurz gewesen, hatte ihm aber dennoch viel über seine Familie und über sich selbst verraten. Wenn er als Junge nicht hatte töten können, konnte er später kein Krieger gewesen sein. Der Gedanke hatte etwas Tröstliches an sich, denn Taro hasste das Töten, und den Krieg, der so viel Leid über

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