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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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hatte, die von den Fischernetzen ins Wasser hingen, und das Boot hinter sich hergezogen hatte. Noch am selben Abend war ihr Großvater nach Nintau zurückgekehrt.
    Noelani seufzte. Ihr Großvater hatte wahrlich Glück gehabt. Delfine waren ihnen auf der Reise auch schon begegnet, aber nach dem Sturm hatte sich kein einziger blicken lassen. Und selbst wenn … die abenteuerliche Geschichte ihres Großvaters würde sich kaum wiederholen, denn sie hatten nichts, womit sie die Tiere füttern konnten …
    Noelani seufzte. Seit sie aufgebrochen waren, war alles fehlgeschlagen. So viele waren gestorben. Vielleicht waren die Flüchtlinge an Bord ihres Bootes ja sogar die Letzten ihres Volkes.
    Sie schluckte gegen die Tränen an.
    Schlimmer hätte es nicht kommen können. Dabei war sie so sicher gewesen, alles richtig zu machen. Und die anderen auch. Sie war die Maor-Say. Ihr hatten die Überlebenden vertraut – und sie hatte sie in den Tod geschickt.
    Ich habe versagt. Die Erkenntnis war bitter, aber es wäre eine Lüge gewesen, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Das Blut der mächtigen magiebegabten Frauen, die einst die Blutlinie der Maor-Say begründet hatten, floss nur noch dünn durch ihre Adern. Das Feuer der Magie war erloschen, die Macht, die Elemente zu beeinflussen, verloren. Sie war zu schwach. Sie hätte das Amt niemals annehmen dürfen. Niemals …
    Noelani wischte eine Träne fort. Es war dunkel geworden. Dunkel und still. Die Männer hatten aufgehört zu paddeln und sich auf die Planken gelegt, ein Zeichen dafür, wie erschöpft sie waren. Niemand klagte, niemand weinte, und niemand erhob Vorwürfe gegen Noelani. Erschöpfung und Verzweiflung hatte die Überlebenden des Sturms verstummen lassen, und es schien fast, als hätten sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden.
    Ach, wenn die Götter uns doch auch Delfine schicken würden, dachte Noelani. Auch wenn wir nichts haben, das wir ihnen geben können. Sie ließ den Blick erneut über das Wasser schweifen und dachte bei sich: Wo seid ihr, Delfine? Wo? Ihr habt meinen Großvater gerettet, lasst uns bitte nicht im Stich. Bitte lasst mein Volk nicht sterben.
    Sie hoffte und betete, aber nichts geschah. Die Götter schienen sie verlassen zu haben.
    Die Nacht schritt voran. Es wurde so kalt, dass die Menschen an Bord eng zusammenrückten, um sich gegenseitig zu wärmen und Trost zu spenden. Noelani wagte nicht, sich ihnen anzuschließen. Zu schwer lastete die Schuld auf ihr, zu sehr fürchtete sie, zurückgewiesen zu werden. Allein rollte sie sich auf dem harten Boden zusammen, um etwas Schlaf zu finden, frierend, mit knurrendem Magen und einem trockenen Mund, dem nach Wasser dürstete.
    Es war mitten in der Nacht, als ein Ruck die Plattform des Bootes durchlief. Dem ersten folgte ein weiterer Ruck. Noelani richtete sich auf und schaute sich blinzelnd um, da rief eine Frau: »Ein Schiff! Den Göttern des Meeres sei Dank. Seht doch, es ist ein Schiff!«
    Noelani zögerte, unfähig zu glauben, dass es wirklich ein Schiff war, das ihnen hier mitten auf dem Ozean in finsterer Nacht zu Hilfe gekommen war. Der dunkle Schemen aber, der unmittelbar neben dem Floß über der Plattform aufragte, vertrieb augenblicklich jeden Zweifel.
    Ein Schiff! Es war unglaublich. Ein Wunder, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Auf dem Schiff flammten Lichter auf. Laternen, die von Menschen über die Bordwand gehalten wurden.
    »Da ist noch ein Floß!«, hörte Noelani eine Männerstimme rufen. »Schnell, holt eine Strickleiter. Es sind Menschen darauf.«
    Was als Nächstes geschah, erlebte Noelani fast wie in einem wunderbaren Traum. Als Letzte erklomm sie die Strickleiter, wurde an Bord des Schiffes gehoben, in eine wärmende Decke gehüllt und unter Deck gebracht, wo man ihr einen heißen Tee und eine dünne Suppe reichte, die wohl das Köstlichste war, was sie jemals gegessen hatte.
    Tee und Suppe vertrieben die Kälte aus ihrem Innern, während sie in ihre Decke gehüllt im Zwielicht einer kleinen Öllampe unter Deck hockte, aß und trank und einfach nur geradeaus starrte. Sie konnte an nichts denken, sich nicht einmal freuen. Alles war so unglaublich, dass es ihr immer noch wie ein Traum erschien, aus dem sie jeden Augenblick erwachen konnte. Nur ganz allmählich begriff sie, dass sie wirklich gerettet worden waren.
    Nachdem sie ihre Gedanken ein wenig geordnet hatte, erkundete sie im Halbdunkel mit den Augen ihre Umgebung und stellte fest, dass sie nicht

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