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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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weitere Boote mit Flüchtlingen. Dicht beieinander trieben sie im Licht der aufgehenden Sonne inmitten der endlosen Weite des Ozeans, schwer beschädigt und ohne Masten.
    Noelani stand am Bug des Schiffes und beobachtete voller Sorge, wie sich das Schiff den Booten langsam näherte. Auf den beiden Plattformen waren mehr als vierzig Gestalten zu erkennen, die wie schlafend auf den Planken lagen. Doch selbst als das Schiff schon sehr nahe war, rührten sie sich nicht.
    Verhungert, verdurstet, erfroren oder an Erschöpfung gestorben … Noelani ballte die Fäuste. O ihr Götter, betete sie in Gedanken, lasst sie am Leben sein. Bitte!
    Mit einem dumpfen Geräusch stieß das Schiff gegen die gesplitterten Planken der Flüchtlingsboote. Die Erschütterung entlockte einigen der liegenden Gestalten eine Regung. Sie war so schwach, dass sie kaum zu erkennen war, aber dennoch ein Zeichen von Leben.
    Hin- und hergerissen zwischen Hoffen und Bangen, verfolgte Noelani, wie die Matrosen auf die Plattformen stiegen und einen Flüchtling nach dem anderen an Bord brachten. Der Zustand der Geretteten war erbärmlich. Nur wenige hatten noch die Kraft, auf eigenen Beinen zu stehen, die meisten mussten getragen werden, und einige standen gar nicht mehr auf. Jedes Mal, wenn die Matrosen einen der Flüchtlinge tot vorfanden, spürte Noelani einen Stich, der ihr ins Herz fuhr und den Schuldgefühlen, die sie plagten, neue Nahrung gab.
    Als die Sonne den Zenit überschritt, lagen die reglosen Körper dreier Männer, dreier Frauen und die von fünf Kindern in Segeltuch gewickelt und mit Steinen beschwert an Bord des Schiffes, um im Meer bestattet zu werden. Jedem Einzelnen fühlte Noelani sich freundschaftlich verbunden, am meisten aber Semirah. Ihre treue Dienerin aus dem Tempel war auch unter den Toten. Sie hier an Deck liegen zu sehen, bleich und leblos, brach Noelani fast das Herz. Sie war froh, dass Jamak an Deck gekommen war und ihr beistand, während die Matrosen einen Leichnam nach dem anderen herrichteten und über eine Planke ins Meer gleiten ließen, wo er von der dunklen Tiefe verschlungen wurde.
    »Warum tust du dir das an?«, fragte Jamak leise, als er ihre Tränen sah. »Geh nach unten und quäle dich nicht mit Dingen, die du nicht ändern kannst.«
    Noelani antwortete nicht. Sie wusste, dass Jamak recht hatte. Unter Deck gehen aber konnte sie nicht. Die elf Toten waren die einzigen von all denen, die ihr Leben auf dieser Reise gelassen hatten, denen sie die letzte Ehre erweisen konnte. Es war ihr wichtig, von ihnen stellvertretend für alle anderen Abschied zu nehmen. Wichtiger als ihr eigenes Seelenheil.
    Jamak schien es zu spüren, denn er bedrängte sie nicht mehr. Schweigend stand er neben ihr, den Arm um ihre Schultern gelegt, und gab ihr Halt in dieser schweren Stunde.
    »Sieh nach vorn, nicht zurück«, sagte er zu ihr, als der Letzte bestattet worden war. »Siebenunddreißig Leben konnten noch gerettet werden.« Er deutete in Richtung des Lagerraums. »Da unten warten einhundertdreiunddreißig Überlebende darauf, dass jemand sie an die Hand nimmt und sie in eine bessere Zukunft führt. Ihnen muss nun unser Augenmerk gelten.«
    »Aber es fehlen noch drei Boote.« Noelani schaute Jamak erschrocken an. »Was ist mit ihnen?«
    Jamak senkte den Blick.
    Es war der Kapitän, der Noelani antwortete. Er hatte der Bestattung beigewohnt und jedem Toten ein paar Worte mit auf die letzte Reise gegeben, so wie er es wohl auch bei einem Mitglied seiner Mannschaft getan hätte. Die Worte entstammten den Seemannsbräuchen und waren nicht ganz passend gewesen für die Menschen von Nintau, aber es war die Geste, die zählte, und Noelani war ihm dankbar, dass er sich die Zeit für die ihm fremden Menschen genommen hatte. »Wir haben alles abgesucht«, sagte er mit einem Seitenblick auf Jamak, als wisse er nicht genau, an wen er die Worte richten sollte. »Es tut mir leid, aber mehr als sieben Boote konnten wir nicht finden.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort: »Wir müssen die Suche jetzt abbrechen. Die Aussicht, weitere Boote oder Überlebende zu finden, ist mehr als gering. Außerdem gehen unsere Vorräte durch die vielen Flüchtlinge an Bord rasch zur Neige. Es wird höchste Zeit, dass wir einen Hafen anlaufen.« Er nickte Noelani zu und sagte: »Habt keine Sorge. Wir werden euch und die anderen Überlebenden sicher zurück nach Baha-Uddin bringen und dann unseren Heimathafen in Hanter anlaufen.«
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