Kristall der Macht
die Menschen brachte, hasste er sowieso. Es wäre furchtbar gewesen zu erkennen, dass er sich in seinem Wesen verändert hatte. So aber konnte er nun mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die von den Rakschun so verachtete Sanftmut ihm angeboren war.
Ich bin einer von den Guten, dachte er und lächelte. Der Gedanke gefiel ihm.
Der Morgen kam und mit ihm das Ende der Schonzeit.
Jemand rüttelte Taro unsanft an der Schulter. Taro blinzelte und erkannte Arkon, der im ersten Licht der Dämmerung vor seinem Bett stand. Als er sah, dass Taro wach war, bedeutete er ihm mit einer unmissverständlichen Handbewegung, dass er aufstehen solle. Ein Kopfnicken in Richtung des Zelteingangs sollte wohl heißen, dass er wieder mit zur Schmiede gehen musste.
»Ich komme.« Dem Schlaf noch nicht ganz entronnen, setzte Taro sich auf. Der Kopf schmerzte noch, aber immerhin war ihm nicht mehr schwindelig. Vorsichtig stieg er aus dem Bett, unterzog Hände und Gesicht in einer Schüssel mit eisigem Wasser einer kurzen Wäsche und ging dann zum Tisch, an dem Arkon bereits Platz genommen hatte, um zu essen. Dort erlebte er eine Überraschung. Seit er bei den Rakschun war, hatte er nichts anderes als dünne Suppe, Brei, altes Brot und Wasser als Nahrung erhalten. Mit etwas Glück hatte er sich aus den Abfällen der Mahlzeiten, die Olufemis Frauen zubereitet hatten, etwas stehlen können, und hin und wieder hatte Halona für ihn Früchte oder etwas Gemüse zurückbehalten. Nicht ein einziges Mal aber hatte jemand ihm eine Morgenmahlzeit aufgetischt, wie Arkon es jetzt tat.
Taro traute seinen Augen nicht, als er auf einem Holzbrett Brot, Käse, Fleisch und einen halben Apfel liegen sah. Arkon muss Besuch erwarten, schoss es ihm durch den Kopf. Das kann nicht für mich bestimmt sein. Er zögerte und schaute den Schmied an, der nachdrücklich nickte und ihn mit einer Handbewegung aufforderte, sich zu setzen. »Für … für mich?«, fragte Taro noch einmal, weil er nicht glauben konnte, dass Arkon ihm so ein königliches Mahl bereitet hatte.
»Al!« Arkon nickte, deutete erst auf Taro, dann auf das Brett und ahmte schließlich eine Essbewegung nach. »Al!«, sagte er noch einmal.
»Danke!« Taro lächelte schüchtern und setzte sich, wagte aber immer noch nicht, etwas zu essen. Erst nachdem Arkon ihn ein weiteres Mal unmissverständlich dazu aufgefordert hatte, nahm er ein Stück Käse zur Hand und biss hinein. Der Geschmack war atemberaubend und …
… wieder sah er die Frau mit dem langen goldenen Haar. Sie beugte sich lachend über ihn. Ihre Haare kitzelten sein Gesicht, der Duft ihrer Haut brachte ihn fast um den Verstand. Sie aber lachte nur und führte die Hand zu seinem Mund, ein Stück Käse zwischen Daumen und Zeigefinger haltend. Er schnappte danach, gierig wie ein wildes Tier. Sie lachte noch mehr und entwand sich ihm, aber er setzte ihr nach, umfing sie mit den Armen und zog sie an sich …
Arkons Faust fuhr krachend auf die Tischplatte und ließ das Bild zerplatzen wie eine Luftblase auf dem Wasser. Taro zuckte zusammen. »Ver… verzeiht«, stammelte er schuldbewusst und griff nach einer Scheibe Brot. Auf keinen Fall wollte er den Schmied verärgern, der ihn so zuvorkommend behandelte.
Arkon ließ als Zeichen des Unmutes ein kehliges Grollen erklingen. Dann nickte er ihm zu, als er in das Brot biss.
Der Rest der Morgenmahlzeit verlief schweigend. Taro war in Gedanken bei der schönen Frau, bemühte sich aber, Arkon das nicht spüren zu lassen. Er war sich sicher, dass sie ein Teil des Lebens gewesen war, das er verloren hatte. Vielleicht war sie seine Schwester oder ihm eine gute Freundin gewesen. Vielleicht aber hatte er sie auch geliebt. Der Gedanke flutete wie eine warme Woge durch seinen Körper, und er spürte, dass er auf dem richtigen Weg war, sich zu erinnern. Doch wie schon so oft war es ihm auch diesmal nicht möglich, weitere Bilder herbeizuzwingen. So sehr es ihn danach verlangte, den Namen der blonden Schönheit zu erfahren, so musste er wiederum erleben, dass er scheiterte.
»Omm!« Arkon erhob sich und bedeutete Taro mit einem Fingerzeig, ihm zu folgen. Diesmal reagierte Taro sofort. Das Essen war köstlich gewesen, und er fühlte sich so satt wie schon lange nicht mehr. Mehr denn je war er davon überzeugt, dass Arkon es gut mit ihm meinte, und er war entschlossen, ihm dies mit Fleiß und Ausdauer am Blasebalg zu vergelten.
* * *
Als der Morgen graute, entdeckte der Matrose im Ausguck zwei
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