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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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allein war. In dem großen Raum, der vermutlich ein leerer Laderaum war, entdeckte sie neben den Flüchtlingen ihres Bootes noch unzählige andere Menschen, die in Decken gehüllt am Boden lagen und schliefen. Der Anblick weckte Hoffnungen in ihr und ließ ihr Herz höher schlagen. Konnte es sein, dass noch andere Boote …?
    Ein dumpfes Dröhnen durchlief den Schiffsrumpf. Gleichzeitig spürte Noelani einen Ruck. Einige der Schlafenden regten sich, aber nur wenige erwachten. »Was war das?«, hörte sie ein Kind fragen, und eine vertraute männliche Stimme antwortete: »Vielleicht haben sie noch ein Boot entdeckt. Die Götter mögen geben, dass es so ist.«
    Jamak? Noelani schlug das Herz bis zum Hals. Das musste Jamak sein. Die Stimme, diese wunderbare Stimme, die sie ihr halbes Leben lang begleitet hatte, würde sie auch im Stockfinstern unter Tausenden wiedererkennen. Sie drehte sich um, um nach dem Sprecher Ausschau zu halten, konnte bei dem schlechten Licht aber kaum etwas erkennen.
    »Jamak?«, fragte sie laut ins Halbdunkel hinein. »Jamak, bist du da?«
    »Noelani?« In der Dunkelheit regte sich etwas. Jemand erhob sich und kam geduckt auf sie zu. Noelani spürte, wie ihr die Kehle eng wurde, so aufgeregt war sie.
    »Ja«, sagte sie leise. »Ja, ich bin es.« Unsicher schaute sie zu der Gestalt auf, die in eine Decke gehüllt vor ihr stand.
    Er ist es. Er lebt, dachte sie und fühlte, wie eine heiße Woge des Glücks ihren Körper durchflutete. Er ist hier, bei mir. Ihr Götter habt Dank, ich bin nicht mehr allein.
    »Noelani. Du lebst. Bei den Göttern, ich dachte schon, ich würde dich nie wiedersehen!« Jamak setzte sich zu ihr und schloss sie in die Arme wie ein Vater seine schmerzlich vermisste Tochter. Noelani ließ es wortlos geschehen, mehr noch, sie genoss es wie ein Kind, das Rettung in höchster Not erfährt, und wünschte, sie könne immer so dasitzen und teilhaben an der ruhigen Kraft und Stärke, die von Jamak ausging. Sie fühlte sich wie damals, als man sie, das schüchterne und zurückhaltende Mädchen, in den Tempel geholt hatte, um die Nachfolgerin der mächtigsten Frau der Insel zu werden. Ein Mädchen, das sich vor der Zukunft fürchtete und das Angst vor dem Versagen hatte, wohl wissend, dass mehr von ihr verlangt werden würde, als sie glaubte, geben zu können. Aber schlimmer noch als damals fehlte ihr diesmal gänzlich die Zuversicht, dass alles gut werden würde. Es war zu spät. Ein Zurück gab es nicht. Zu viele waren gestorben. Sie hatte versagt. Was sie ihrem Volk durch Unwissen und Selbstüberschätzung angetan hatte, würde keine Macht der Welt jemals wiedergutmachen können. Die Tränen kamen, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen konnte. Immer stärker rannen sie ihr über die Wangen. Es war, als hätte Jamaks Berührung einen Damm gebrochen, der sich nun in einem Strom von Tränen leerte.
    »Nicht weinen!« Jamak strich ihr sanft über das nasse Haar. »Wir sind in Sicherheit. Es wird alles gut.« Die Worte waren lieb gemeint, verfehlten aber ihre Wirkung. Statt Trost zu spenden, waren sie wie Öl für das Feuer aus Kummer und Verzweiflung, das in Noelani brannte. Wild und zerstörerisch loderte es auf, so stark, dass auch die letzten Barrieren dem Ansturm nicht länger standhielten.
    »Nein! Nein! Nichts wird gut.« Noelani schluchzte auf und wand sich in Jamaks Armen wie ein gefangenes Tier. »Sie sind tot. Alle sind tot, und ich bin schuld daran.«
    »Noelani, beruhige dich.« Jamak verstärkte den Griff noch etwas, blieb dabei aber sanft. »Was redest du da? Es ist doch nicht deine Schuld, dass …«
    »Doch, das ist es. Ich bin schuld. Ich allein. Ich habe sie getötet. Lass mich los! Lass mich …!« Mit den Fäusten hämmerte sie auf Jamak ein, musste aber bald einsehen, dass ihr die Kraft fehlte, um sich wirklich gegen die Umarmung des großen und kräftigen Mannes zu wehren. So gingen ihre schwächlichen Versuche der Gegenwehr alsbald in ein wildes, hemmungsloses Schluchzen über, während Jamak sie weiterhin fest in den Armen hielt. Geduldig, sanft und verständnisvoll, so wie ein Vater es tun würde.
    Es waren Stimmen, die Noelani aus den finsteren Abgründen ihrer Gedanken rissen. Als sie den Kopf hob, entdeckte sie Licht am Eingang zu dem Lagerraum und Gestalten, die sich darin bewegten.
    »Siehst du, sie sind nicht tot«, hörte sie Jamak sagen, und die Freude, die in seiner Stimme mitschwang, war nicht zu überhören. Hastig wischte Noelani die Tränen

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