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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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täglich beim Gebetsruf auf die Knie zu fallen, und jedes Mal blutete ihr dabei das Herz, denn sie erinnerte sich an Doktor Mahmoud, der in ihrem Gärtchen in Torbach, während ihrer Reise entlang der Handelsstraße und an Deck jenes unglückseligen portugiesischen Schiffs auf dieselbe Weise gebetet hatte. Bei ihren Gebeten dachte sie an Adriano und hoffte inständig, dass er noch am Leben und irgendwo in ihrer Nähe wäre. Auch an ihren Vater dachte sie und erneuerte ihren Entschluss, ihre Reise nach Jerusalem fortzusetzen und ihn zu finden. Die Frauen des kaiserlichen Harems waren in zwei Klassen geteilt: die Konkubinen und ihre Dienerinnen. Die Konkubinen mussten strengen Schönheitskriterien genügen, darüber hinaus aber auch Charme und Niveau besitzen, um als Bettgespielinnen des Sultans auserwählt zu werden. Die Dienerinnen, die teils niedrige Schwerarbeit verrichteten, teils aber auch über kunsthandwerkliche Fertigkeiten und Bildung verfügten, erfüllten die tausend Bedürfnisse der Konkubinen. Katharina musste Stoffe und Gewänder, die bereits überaus prächtig und kostbar waren, mit zusätzlichen Schnörkeln und Ornamenten verzieren. Aber wenigstens brauchte sie nicht in der Küche oder unter den Baderäumen zu schuften, wo das Wasser erhitzt wurde (anderswo wäre das Männerarbeit, aber zum Serail hatten Männer keinen Zutritt).
    Katharina wusste, dass in einem anderen Teil des Palasts noch eine andere Welt existierte – die wirkliche Welt des Handels, der Wissenschaft und der Männer. Oben auf dem Tor zum Kaiserpalast gab es eine Geheimkammer, wo die Damen des Sultans ungesehen den Paraden beiwohnen konnten, und von dort beobachtete Katharina die endlosen Prozessionen ausländischer Würdenträger, Besucher, Botschafter, Staatsoberhäupter, Wissenschaftler und Künstler. Sie lebten in einer Zeit der Forschungsexpeditionen und Entdeckungen, und da sich der Sultan als aufgeklärter Herrscher betrachtete, bat er die Welt bei sich zu Gast. Durch den marmornen Torbogen schritten spanische Eroberer mit Indianern aus der Neuen Welt, Azteken und Inkas, die sie dem Sultan als Geschenke übergaben. Gesandte vom Hof Heinrichs VIII. überbrachten Bücher über Astronomie und musikalische Werke, die der König höchstpersönlich komponiert hatte. Und aus Italien kamen Künstler, die einen ganz neuen Stil in der Malerei und Bildhauerei entwickelt hatten. Wenn Katharina da unten diese Europäer auf ihren Pferden erblickte, hätte sie am liebsten geschrien: »Hier bin ich! Bitte nehmt mich mit!« Doch obwohl die wirkliche Welt lediglich hinter ein paar Mauern lag, hätte sie genauso gut in den Sternen liegen können, so unerreichbar war sie für die Frauen des kaiserlichen Harems. Es gab Zeiten, in denen Katharina glaubte, sie würde in diesem goldenen Käfig wahnsinnig werden, und oft weinte sie sich in den Schlaf, doch das behielt sie für sich und fügte sich in diese unwirkliche Welt, schloss sich den anderen Näherinnen an, stichelte an ihren feinen Näharbeiten, beobachtete und hörte zu, während sie die Tage zählte und auf eine Chance zur Flucht wartete. Vorsichtig erkundigte sie sich nach einem Mann, der gleichzeitig mit ihr in Gefangenschaft geraten und von denselben Sklavenhändlern nach Konstantinopel gebracht worden war. Ein christlicher Ritter aus Spanien, sagte sie.
    Auch fragte sie nach den Besitztümern, die man den Gefangenen abgenommen hatte, denn sie hätte etwas eingebüßt, was ihr viel bedeutete und was sie unbedingt zurückhaben müsse. Doch alle ihre Fragen prallten an einer Wand aus Gleichgültigkeit und leeren Blicken ab.
    Dann musste sie eben allein die Spurensuche nach Adriano und der Miniatur der heiligen Amelia aufnehmen.
    Obwohl Katharina in einer Art Gefängnis lebte, herrschten darin Freiheiten eigener Art, denn solange sie innerhalb der Mauern des Serails blieb, durfte sie gehen, wohin sie wollte. Die endlosen Gänge mit ihren prachtvollen Säulen und Brunnen, die Marmorbänke und exotischen Aussichtspavillons, die sich unerwartet weitenden Plätze, auf denen Jongleurinnen und Tänzerinnen für Unterhaltung sorgten, das Labyrinth von Gemächern und Bädern bildeten eine kleine Stadt für sich, in der ein unvorstellbarer Luxus herrschte. Den verwöhnten Bewohnerinnen fehlte es an nichts. Durch das gesamte Serail zog ein köstlicher Zitrusduft, da alle Marmorsäulen und Wände täglich mit Zitronensaft abgewaschen wurden, damit sie schön glänzten. Doch einen Ort gab es, zu dem

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