Kristall der Träume
lagen splitternackt auf den Liegen oder stolzierten auf und ab, um ihre prallen Brüste und Hinterbacken zur Schau zu stellen. Da diese sinnlichen Frauen so gut wie nie in den Armen eines Mannes lagen (die Eunuchen waren im Allgemeinen uninteressant), suchten sie die sexuelle Lust untereinander und hatten häufig leidenschaftliche Liebesaffären, die zu heftigen Ausbrüchen von Hass und Eifersucht führen konnten.
Bei so viel Langeweile, Warten und Unausgefülltheit stieg dumpfe Abscheu in Katharina hoch. Diese Frauen waren alle gegen ihren Willen hierher verschleppt worden, schienen jedoch zufrieden und sogar glücklich, als wären ihre Herzen und ihre Erinnerungen stumpf geworden. Sie führten ein Leben, das im Grunde eine Art von angenehmem Tode war, und Katharina fürchtete, wenn sie nur genügend Zeit an diesem verwunschenen Ort zubrächte, würde auch sie seinem Zauber erliegen. Das durfte niemals geschehen. Sie hatte ihrer Mutter am Totenbett das Versprechen gegeben, ihren Vater zu finden. Und Adriano schuldete sie Dank für ihr Leben. Katharina wurde von fürchterlichen Visionen gequält, was ihm wohl in diesem Moment gerade zustieß, und schämte sich der luxuriösen Existenz, die sie führte. Jeden Morgen dachte sie beim ersten der fünf Tagesgebete daran, dass Adriano sie auf jener Insel nicht im Stich gelassen hatte. Auch sie würde ihn jetzt nicht im Stich lassen.
Irgendwie würde sie ihre Schuld begleichen.
Da war er wieder, der entstellte Eunuch, und beobachtete sie.
Jetzt war sich Katharina sicher, dass es sich nicht um einen Zufall handelte. Nachdem sie ihm wochenlang an den abgelegensten Orten begegnet war, gelangte sie zur Überzeugung, dass er sie verfolgte.
Und das jagte ihr einen Schauder der Angst über den Rücken. Acht Monate lebte Katharina nun schon im kaiserlichen Harem, und es war ihr mit Verstand und List gelungen, nicht in das verworrene Geflecht der Beziehungen, Verliebtheiten, Eifersüchteleien, Verschwörungen, Intrigen und Gegenintrigen hineingezogen zu werden, die es zwischen den einzelnen Cliquen und rivalisierenden Gruppen ständig gab. Es kam auf die strenge Beachtung der Hackordnung an, die sich verschob und veränderte wie die Sanddünen. Konkubinen stiegen oder fielen innerhalb der Haremshierarchie, gewannen die Gunst der Mehrheit und verloren sie wieder, alles in völliger Willkür. Nur die Sultanin Safiya, die Lieblingskonkubine des Sultans, hielt ihre Stellung an der Spitze des Harems, doch auf diese erhabene Persönlichkeit hatte Katharina noch nicht einmal einen flüchtigen Blick erhascht. Viele hatten versucht, Katharina auf ihre Seite zu ziehen, doch sie war neutral geblieben und wurde nach einiger Zeit dafür auch respektiert, denn man konnte ihr vertrauen und sich auf ihre Ehrlichkeit verlassen. Sie hatte es sogar geschafft, sich das Wohlwollen ihrer drei launischen Vorgesetzten zu erwerben – der Seidenmeisterin, der Fadenmeisterin und der Schuhmeisterin. Freundschaften hatte sie im Harem nicht geschlossen, sich aber auch keine Feinde gemacht.
Mit den Eunuchen verhielt es sich anders. Auch noch nach acht Monaten angestrengter Anpassung an diese verrückte Welt, die sich so sehr von der Welt außerhalb der Palastmauern unterschied, hatte Katharina das Wesen dieser seltsamen Männer, die die Frauen bewachten, nicht ergründen können.
Der Harem wurde ausschließlich von schwarzen Eunuchen beaufsichtigt, die besonders hässlich oder absichtlich entstellt waren, um ein romantisches Interesse bei den Frauen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Sie waren als Knaben in Afrika gefangen genommen und gleich kastriert worden, meist in einer Wüste, wo der heiße Sand das einzige Heilmittel gegen die oft tödlichen Blutungen war. Denn der Eingriff war gewaltig: Wer als Eunuch für den kaiserlichen Harem vorgesehen war, musste die vollständige Amputation von Hoden und Penis über sich ergehen lassen (urinieren konnte der Eunuch dann nur über ein Rohr, das er in seinem Turban verbarg). Eunuchen konnten zu großer Macht aufsteigen und selbst über einen Stab von Dienern und Sklaven herrschen; sie waren bei allen, die sich ihren Missmut zuzogen, gefürchtete Gegner. Deshalb machte sich Katharina auch solche Sorgen, weil dieser eine Eunuch ihr offensichtlich nachspionierte.
Wem berichtete er über sie, und aus welchem Grund?
Ihr Verdacht bestätigte sich eines Nachts, als sich plötzlich eine Hand wie eine Eisenklammer über ihren Mund legte. Es war nicht ungewöhnlich,
Weitere Kostenlose Bücher