Kristall der Träume
Plateausohlen und trug einen kegelförmigen Kopfputz, durch den sie noch größer wirkte. Vor einer Gefangenen nach der anderen baute sie sich auf und fragte:
»Gläubig oder ungläubig?« Während die Beklagenswerte ihre Antwort murmelte, wurde sie flüchtig gemustert und dann mit einem einzigen Wort zu ihrem weiteren Schicksal verdammt: »Küche!«,
»Wäscherei!«, »Kaserne!«, »Sklavenmarkt!« Bis Katharina an der Reihe war, hatte sie herausgefunden, dass die »Gläubigen« Arbeit im Palast bekamen, während die »Ungläubigen« zum Sklavenmarkt, oder, vielleicht schlimmer noch, als Freudenmädchen in die nahe Militärkaserne geschickt wurden.
Noch bevor die Aufseherin ihre Frage stellen konnte, platzte Katharina heraus: »La illaha illa Allah – es gibt keinen Gott außer Gott«, das muslimische Grundgebet, das sie von Doktor Mahmoud gelernt hatte.
Die Frau zog die Augenbrauen hoch. »Du bist Muslimin?«
Katharina biss sich auf die Lippe. Doktor Mahmoud hatte ihr genügend über den Islam und den Koran beigebracht, dass sie für eine Glaubensgenossin durchgehen konnte. Aber dann dachte sie an Adriano und seine hingebungsvolle Verehrung der Muttergottes.
Adriano würde sich für seinen Glauben foltern lassen, er würde niemals vorgeben, etwas anderes als ein Christ zu sein. Da senkte Katharina den Kopf und murmelte: »Nein, ich bin Christin. Aber ich kann lesen und schreiben«, setzte sie rasch in der Hoffnung hinzu, sie würde damit dem Schicksal der anderen Frauen entrinnen, denn das Leben in der Palastküche und Wäscherei war sicher hart und kurz.
Die Frau hielt sich mit Katharina etwas länger auf als mit den anderen, untersuchte ihre Hände und Zähne und erkundigte sich nach ihrer Herkunft, worauf Katharina antwortete, sie sei adeliger Abstammung. Schließlich winkte die Frau einen Helfer heran. Er begleitete Katharina durch eine Tür, die zu ihrer Überraschung in ein Dampfbad führte, wo Frauen und Mädchen kaum bekleidet beieinander saßen und angeregt plauderten. Katharina wurde abgeschrubbt und nach Läusen untersucht; die mit ihr beschäftigte Magd knurrte, es sei ja hinreichend bekannt, dass sich die Christen nicht häufig wuschen. Dann kam der nächste Schock: Katharina musste sich die gesamte Körperbehaarung abrasieren lassen, was der Koran im Übrigen für alle Muslimen beiderlei Geschlechts vorschrieb, wie sie später erfuhr.
Katharina erhielt saubere Kleider, ein seltsames Kostüm aus einer langen Robe, einer Hose und einem Schleier zur Verhüllung des Gesichts, und nach kurzer Befragung musste sie eine Probe ihrer Geschicklichkeit im Umgang mit Nadel und Faden ablegen. Danach wurde sie dem Stab der Gewandmeisterin zugeteilt. Sie merkte bald, dass ihr diese niedrige und unbedeutende Stelle erlaubte, sich im gesamten Frauentrakt des Palasts zu bewegen, wenn auch in einer Gruppe anderer Näherinnen, von denen jede ihre Spezialaufgabe hatte. Katharina wurde mitgeteilt, dass sie, falls sie sich bewährte, eines Tages zur »Fadenhüterin« aufsteigen könne, deren einzige Aufgabe im Beschaffen und Verwalten von Stickgarn bestand, wobei sie eigene Helferinnen beschäftigen würde. Diese Mitteilung war sicherlich gut gemeint und sollte Katharina aufmuntern, doch auf Katharina wirkte die Aussicht, den Rest ihres Daseins an diesem Ort zu verbringen, wie ein Gefängnisurteil.
So begann sie im großen Sultanspalast von Konstantinopel ihr neues Leben. Niemand scherte sich darum, dass sie Deutsche war und ihren Vater suchte, dass sie frei geboren war und Rechte besaß, dass sie womöglich sogar adeliger Herkunft war. Niemand interessierte sich für ihre Person oder wollte ihren Namen wissen, denn der Sultanspalast war von Tausenden von Sklaven und Dienern bevölkert, die es alle irgendwann als Gefangene hierher verschlagen hatte. Sie hatten sich damit abgefunden, ihr Dasein innerhalb dieser hohen Mauern zu fristen, und manche wandten ihr Schicksal durchaus zum Positiven, stiegen in der Dienstbotenhierarchie hoch hinauf und errangen Wohlstand und einen gewissen Einfluss. Das Serail bestand aus einem von hohen Mauern umgebenen Komplex von Pavillons, die zwischen viel Grün auf einem Hügel lagen; von dort hatte man Aussicht auf das Theodosiusforum und die berühmten Stallungen des Sultans, in denen viertausend Pferde standen. In dieser isolierten, exotischen Welt kostete Katharina zum ersten Mal Reis und gewöhnte sich an, morgens, mittags und abends Kaffee zu trinken. Sie lernte auch, fünfmal
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