Kristall der Träume
näherte, ohne vorgestellt worden zu sein.
Aber dies waren besondere Zeiten, und hier war Grenzland. Also sagte sie kühn: »Ich bin Emmeline Fitzsimmons und möchte nach Westen. Da ich allein bin, verweigern die Kolonnenführer mir die Mitreise. Lassen Sie mich mit Ihnen reisen, Doktor. Ich könnte Ihnen assistieren. Ich bin gelernte Hebamme.« Zum Beweis hielt sie ihre Ledertasche hoch, die die Instrumente und Heilmittel ihres Gewerbes enthielt. »Aber ich bin mehr als das«, beeilte sie sich hinzuzufügen, als er sie unverwandt mit offenen Mund anstarrte. »Mein Vater war Arzt, und ich habe ihm in seiner Praxis geholfen. Ich wollte auch Ärztin werden, aber der Zutritt zum Medizinstudium blieb mir versagt. Nur Männer können Arzt werden«, schloss sie bitter. Dann kehrte ihr Lächeln wieder. »Ich könnte eine große Hilfe für Sie sein.«
Matthew wusste nicht, was er von dieser tollkühnen jungen Frau halten sollte. Im Gegensatz zu seiner geliebten schlanken, zierlichen Honoria war Miss Fitzsimmons von robuster Statur mit einem schwellenden Busen. Sie hatte volle rote Lippen und betörend lange Wimpern. Und sie strömte einen weiblichen Duft aus, der ihn beinahe schwindelig machte. Er schluckte. Ihre pralle Weiblichkeit verunsicherte ihn, und ihr kühner Vorschlag, dass zwei Fremde, ein Mann und eine Frau, zusammen reisen sollten, schreckte ihn zu Tode.
»Ich… tut mir Leid«, stammelte er. »Schauen Sie.« Sie öffnete ihre Tasche und zog ein Bündel leerer Geburtsurkunden hervor. »Ich habe die Totenscheine in Ihrer Tasche gesehen. Besser können zwei Menschen gar nicht zusammenpassen. Ich sehe das als ein gutes Omen.«
Sein Bedauern murmelnd, riss Matthew seine gefüllte Flasche an sich und stürzte davon.
So schnell gab Emmeline sich nicht geschlagen. Sie ging zurück zu dem riesigen Menschenlager am Fluss und ließ den Blick über die Szenerie schweifen. Einige der Planwagen waren bereits losgefahren, es blieben nur noch wenige übrig. Sie musste unbedingt in Tices Kolonne mitfahren, die am nächsten Morgen abreisen sollte.
Im Unterschied zu den meisten anderen Kolonnenführern war Tice bereits in Oregon gewesen, er kannte den Trail und die Indianer. Aus diesem Grund forderte er auch einen höheren Preis als die anderen; aber egal, wie viel Emmeline ihm geboten hatte, es war nicht genug.
Ihr Blick blieb auf einem jungen Mann mit kariertem Jackett und einem kecken Bowlerhut hängen. Er war gerade dabei, seine Kamera auf einem Stativ zu postieren. Das Schild auf seinem Wagen verkündete: »Silas Winslow, Fotograf. Schmeichelnde Bilder garantiert.« Die neue Erfindung war der große Renner. Emmeline selbst hatte vor ihrer Abreise aus Illinois zum Andenken für ihre Schwestern für ein Foto Porträt gesessen. Leider hatte ihr Geld nicht gereicht, auch von den Schwestern ein Bild anfertigen zu lassen, so musste Emmeline die Erinnerung an die Schwestern in ihrem Herzen bewahren.
Unschlüssig wanderte sie zwischen den Planwagen umher, wo die Männer den Proviant überprüften und die Wagenräder schmierten, während die Frauen das Aufladen der Möbelstücke, des Gepäcks und des Bettzeugs überwachten. Unvermittelt stieß Emmeline auf eine neu angekommene Familie, die Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft versuchte, gleichzeitig mit Kindern, Hühnern und dem Gepäck fertig zu werden. Emmeline näherte sich der angestrengten Frau und machte sich auf die unbefangenste Art, die ihre momentane Gemütslage erlaubte, bekannt. »Ich bin gelernte Hebamme und könnte Ihnen behilflich sein, wenn Ihre Zeit gekommen ist, was ohne Zweifel auf dem Trail der Fall sein wird.« Die Frau mit Namen Ida Threadgood dankte ihr für das Angebot. »Es wäre Gottes Segen, wenn Sie mit uns kämen, Miss Fitzsimmons. Ein wahrer Segen. So wie dieser Mann«, sagte Ida verbittert, während sie in Richtung ihres Mannes nickte, der gerade die Ochsen ins Joch spannte, »ein wahrer Fluch ist.«
Am 12. Mai 1848, einem klaren Frühlingsmorgen, erschienen alle in ihrer besten Sonntagskleidung, die Damen in eng geschnürten Korsetts, mit blumengeschmückten Hüten und Sonnenschirmen, Handschuhen und Fächern; die Männer, glatt rasiert, mit sauber gekämmten Haaren, Hosenträgern und blitzenden Gürtelschnallen, alles neu und glänzend. In den Badehäusern von Independence hatte es wie ein Bienenstock gesummt, als die Auswanderer sich vor Reiseantritt ein letztes gründliches Bad gönnten. Eine Kapelle spielte den Yankee
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