Kristall der Träume
müssen, doch Emmeline beharrte darauf, nach Oregon zu gehen.
Was nun geschah, überraschte selbst den gewitzten Tice: Vier Fuhrleute, zwei verwitwete Farmer, der Fotograf Silas Winslow und ein knochiger Teenager rissen sich darum, Miss Fitzsimmons nach Oregon zu begleiten.
Da abzusehen war, dass in Kürze ein Faustkampf darüber ausbrechen würde, wer der jungen Dame Schutzgeleit geben dürfe, eilte Matthew zu seinem Wagen und holte heimlich den Wunderstein hervor.
Den Stein in der Hand drehend, überdachte er sein impulsives Handeln. Die Entscheidung darüber, was mit Miss Fitzsimmons geschehen sollte, lag bei Arnos Tice oder bei der starrköpfigen jungen Dame selbst und ganz bestimmt nicht bei ihm, Matthew Lively. Etwas Unbekanntes, Beunruhigendes in seinem Inneren bewog ihn einzugreifen. Die Stimme seines Gewissens raunte ihm zu, dass er eine Entscheidung treffen müsse, und derlei war neu für Matthew. Dennoch, es würde nicht allein bei ihm liegen. Er würde tun, was immer der Kristall ihm befahl.
Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, den Stein jeden Abend vor dem Schlafengehen und jeden Morgen beim Aufwachen zu befragen, weil die dunkle Prophezeiung seiner Mutter unverändert an ihm nagte. Er hoffte immer noch, dass er Mittel und Wege finden würde, die Bedrohung zu umgehen, aber der Lenkende Geist blieb stumm. Nun allerdings hatte er eine andere Frage an den Wunderstein. Er nahm eine Schiefertafel und ein Stück Kreide zur Hand, auf die eine Seite der Tafel schrieb er »Ja«, auf die andere Seite »Nein«. Dann legte er den Stein in die Mitte der Tafel, fragte:
»Soll ich Miss Fitzsimmons nach Oregon begleiten?«, und drehte ihn. Der Stein zeigte auf »Ja«. Er drehte noch einmal, und abermals zeigte der Stein auf »Ja«. Er wiederholte den Vorgang noch einige Male, jedes Mal zeigte der Stein auf »Ja«. Matthew mochte den Lenkenden Geist nicht überstrapazieren, um sein Schicksal nicht herauszufordern. Also ging er zurück zu dem Aufruhr, den Miss Fitzsimmons ungewollt heraufbeschworen hatte, und bot ihr, ob seiner Kühnheit mit jagendem Herzen und feuchten Handflächen, einen Platz in seinem Wagen an.
Sein Angebot wurde auf der Stelle angenommen. Sie begruben Barnabas Threadgood am Rande des Trails, sprachen hastig ein Gebet und machten sich wieder auf den Marsch nach Westen. Im umgekehrter Richtung, zur Zivilisation zurück, zog Ida Threadgood mit ihrer Brut, zusammen mit anderen Frauen und deren Kinderschar und den Fuhrleuten, die nichts mehr mit Oregon im Sinn hatten.
Unterwegs ließ Albertina Hopkins jedermann wissen, wie sehr ihr missfiel, dass zwei unverheiratete Leute zusammen reisten. »Das geht sie nichts an«, ärgerte sich Emmeline, als sie den Kutschbock an Matthews Seite erklomm.
Matthew sagte nichts dazu. Insgeheim gab er jedoch Mrs.
Hopkins Recht.
Albertina stichelte weiterhin gegen das Arrangement und ließ Captain Tice ihren Unmut bei jeder Gelegenheit spüren. Einige Frauen pflichteten ihr bei, andere wiederum erhoben keine Einwände und rieten Tice, er möge die Doktorsleute in Ruhe lassen. »Wir wissen nicht, wann wir sie brauchen«, meinte Florine Benbow, nicht ahnend, welch prophetische Worte sie da sprach. Während sie über die Prärien von Kansas und Nebraska zogen, deren sanfte, schwellende Hügel sich endlos aneinander reihten, kamen Emmeline und Matthew zu einem Arrangement, damit es bei ihnen ordentlich und züchtig zuging: Emmeline schlief in Matthews Planwagen, und er rollte sich mit seinem Bettzeug auf der Erde zusammen, womit für Anstand gesorgt war. Andererseits aßen sie zusammen, errichteten gemeinsam das Zelt und bauten es wieder ab, spannten die Ochsen an, beluden den Wagen und holten gemeinsam Wasser. Sie passten sich der täglichen Routine auf dem Trail an: Bei Tagesanbruch wurde das Lager mit einem Signalhorn geweckt. Die Männer, die die Nacht über bei den Herden gewacht hatten, trieben die Tiere von den Weidegründen auf das Lager zu, die Frauen fachten ihre Kochfeuer an und bereiteten das Frühstück aus Kaffee, Brot und Speck. Nach dem Frühstück wurden die Zelte abgebrochen, die Wagen beladen, die Gespanne angeschirrt. Schlag sieben Uhr setzte sich die Kolonne in Bewegung, um die kühlen Morgenstunden zu nutzen. Mittags wurde noch einmal eine Stunde Rast gemacht, um dann weitere fünf Stunden zu marschieren. Wenn Captain Tice dann endlich das Signal für die Abendrast gab, wurde es mit Seufzern der Erleichterung begrüßt. Die Wagen wurden vom
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