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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Kolonnenführer in ein Rund eingewiesen und zu einer Wagenburg formiert, um Schutz vor eventuellen Indianerangriffen zu bieten. Tiere wurden ausgeschirrt und auf die Weidegründe getrieben, die Frauen bereiteten das Abendessen. Die Stunden nach dem Essen gehörten der Entspannung. Manchmal ertönte Musik, und ein Tanz wurde improvisiert, Klatsch wurde ausgetauscht, und Geschichten gingen rund ums Lagerfeuer.
    Den Menschen, die aus der Beengtheit ihrer Farmen und Häuser kamen, musste das alles wie ein Traum vorkommen: Die Tage waren hart, die Nächte jedoch friedlich, und die großen Lagerfeuer vermittelten eine Art Romantik. Kinder liefen frei herum, Freundschaften wurden geschlossen, Essen wurde geteilt.
    Eifersüchteleien hielten sich noch in Grenzen, der Neid hatte noch nicht zu nagen begonnen, Beschwerden waren noch nicht bis zu Arnos Tice gedrungen. Aber in nicht allzu ferner Zeit würden sich die Gemüter erhitzen, die Nerven blank liegen und Tice, wie es gewöhnlich allen Kolonnenführern irgendwann erging, harscher Kritik ausgesetzt werden.
    Schließlich hatte er eine undankbare Aufgabe. Als Captain traf er die meisten Entscheidungen: Er gab das Startzeichen für die Kolonne am Morgen, wählte den Platz für die Mittagsrast oder die Ruhepausen und bestimmte, wo man das Nachtlager aufschlagen würde. Er musste Leute zum Holzsammeln und Wasserholen einteilen, Wachtposten am Lager und bei den Herden aufstellen. Mit der Zeit würden sich diejenigen, die am hinteren Ende der Kolonne fuhren, darüber beschweren, dass sie den Staub der voranfahrenden Wagen schlucken müssten, und obgleich Tice die Reihenfolge der Wagen immer wieder änderte, damit jeder einmal an der Spitze fahren konnte, machte er es keinem recht.
    Sie hatten auch ihre Trauerfälle. Jeb, der Fuhrmann aus Kentucky, erlag schließlich dem Abszess in seinem Kiefer, der sich darin eingenistet hatte, nachdem der Barbier Osgood Aahrens ihm den Zahn gezogen hatte. Sie begruben ihn neben dem Trail und zogen weiter. Weitere Gräber kamen hinzu: von Kindern, die an Masern gestorben, Männern, die unter Wagenrädern zermalmt worden waren, und Babys, die die Geburt nicht überlebt hatten.
    Manche an der Seite ihrer Mutter. Auf ihrem Zug nach Westen traf die Kolonne auf Gräber, die vor ihnen ziehende Auswanderer gerade erst ausgehoben hatten. In den kommenden Dekaden sollte der Oregon-Trail von Tausenden von Gräbern und hölzernen Grabmalen gesäumt werden.
    Wie sie so in Matthews Planwagen dahinrumpelten, träumte Emmeline an Matthews Seite vom Gelobten Land, in dem Männer und Frauen gleichberechtigt lebten. Matthew hingegen, die Zügel in der Hand und wegen des Staubs genug Distanz zum Vordermann haltend, schwelgte im Sonnenschein über den Plains und genoss dieses Leben, das so ganz anders war als die verdunkelten Séancezimmer der spiritistischen Gemeinde in Boston. Dort drehte sich das Leben um die Toten, hier um die Lebenden – und dazu gehörten auch grasende Rinder, segelnde Adler, spielende Kinder oder die Hündin Daisy, die Hasen und Truthähne jagte.
    Sie sprachen nur wenig, des Doktors Tochter aus Illinois und der junge Mann aus Boston, während sie nebeneinander auf dem Kutschbock saßen und den Blick auf den Horizont richteten, den sie sich nie zuvor in einer so unendlichen Weite, mit einem so grenzenlosen Himmel hatten vorstellen können. Mit jeder zurückgelegten Meile weiteten sich ihre Seelen, als hätten sie ihre Jugend auf einem verstaubten Dachboden verbracht und würden nun auf einer Wäscheleine im Sonnenschein ausgelüftet. Und da der Horizont weiterhin ungreifbar blieb und der Wagen stetig weiterrumpelte, hielt es Emmeline allmählich für angebracht, ein wenig Konversation zu machen. Der blaue Stein, den Dr. Lively hin und wieder hervorholte und betrachtete, hatte sie neugierig gemacht.
    »Er wird Kristall der Träume genannt«, erzählte Matthew voller Stolz. »Meine Mutter bekam ihn zu ihrer Hochzeit geschenkt. Sie sagt, er sei sehr alt, uralt wie die Welt womöglich, und dass ihm die Kraft all jener Leute innewohne, die ihn je besessen hätten, bis in die Urzeit zurück. Meine Mutter hat den Stein immer um Rat befragt, und das tue ich auch.« Er ging nicht so weit zu erwähnen, dass seine Mutter den Wunderstein auch dazu benutzte, mit Verstorbenen in Kontakt zu treten. Ebenso wenig erzählte er Emmeline von der schrecklichen Prophezeiung seiner Mutter, dass ihm eine große Schicksalsprüfung bevorstünde. Womöglich war sein

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