Kristall der Träume
Folglich war es Arnos Tices heimliches Bestreben, die Leute dahingehend umzustimmen, dass sie mit ihm nach Kalifornien zogen. Einmal dort, würde er die Gruppe sich selbst überlassen und sich eiligst daran machen, ein Vermögen mit Gold zu verdienen. Wie aber sollte er die Pioniere von der neuen Route überzeugen? Die Ironie des Zufalls wollte es, dass ihm ausgerechnet jener Trapper in die Hände spielte, der alle vor der Abkürzung nach Oregon warnte.
Tice fachte die kursierenden Gerüchte noch an, indem er behauptete, gehört zu haben, dass die andere Strecke nicht nur kürzer, sondern auch viel angenehmer zu fahren sei und weniger Mühsal und Entbehrung barg. Als Nächstes fabrizierte Tice eine Karte. Er arbeitete einen Tag und eine Nacht heimlich daran, damit sie möglichst abgegriffen und authentisch wirkte. Außerdem sah er zu, dass die Kolonne einen Bogen um jenes Gebiet schlug, in dem sich die Mormonen erst vor einem Jahr angesiedelt hatten. Arnos Tice war nämlich einer der Milizsoldaten gewesen, die drei Jahre zuvor Joseph Smith, den Anführer der Mormonen, gefangen genommen und exekutiert hatten, insofern waren die Heiligen der Letzten Tage nicht gut auf Tice zu sprechen. Bei ihrer Rast vor Fort Bridger legte er seiner Kolonne dann seinen Plan dar und präsentierte die »authentische« Karte. Er brauchte die Begeisterung und die Erregung in seiner Stimme nicht einmal zu spielen, denn in Gedanken stand er bereits an Flüssen, in denen es nur so von Goldnuggets wimmelte.
»Es liegt doch auf der Hand«, sagte er und rollte die Karte aus, damit alle sie sehen konnten. »Der Oregon-Trail führt über gefährliche Gebirgspässe, dann kommt eine lange, riskante Floßfahrt auf dem Fluss, die schon einige Leute das Leben gekostet hat. Ich schlage diese Route hier vor. Sie führt über hübsches, offenes Flachland und dann über einen leichten Gebirgspass. In Kalifornien schwenken wir dann nach Norden und folgen einer angenehmen, flachen Strecke, wo uns der Seewind kühlt und Obstbäume stehen, so weit das Auge reicht.«
»Aber ist dieser Weg nicht länger?«, wollte Charlie Benbow wissen. »In Meilen ja, aber die andere Route dauert länger und birgt mehr Gefahren. Erinnert ihr euch an den South Pass durch die Rockys? Wie einfach und angenehm dieser Weg doch gewesen war!
Nun, die Sierra Nevada ist nichts im Vergleich zu den Rockys. Sie zu überqueren ist ein Kinderspiel.« Und sie glaubten ihm.
Trotzdem wollten sie den Plan noch überdenken. Schließlich war dies hier der letzte Außenposten, dahinter fing die Wildnis an.
Während sich Tices Leute die Sache durch den Kopf gehen ließen, nutzten sie die Zeit für die erforderlichen Vorbereitungen. Sie reparierten Wagen und Geschirre, ließen Pferde und Rinder ausgiebig ruhen und weiden und bereiteten die Vorräte für unterwegs vor. Die Stimmung war euphorisch. Das Paradies lag gleich hinter dem nächsten Gebirgskamm, hinter der kalifornischen Sierra. Die Leute konnten die sanfte Brise des Pazifik beinahe spüren.
Einige andere wiederum hatten ihre Zweifel. Matthew Lively zum Beispiel zog es vor, den Kristall zu befragen, obwohl eine innere Stimme ihm zuraunte, dass die Abkürzung keine gute Idee sei.
Emmeline durfte dabei zusehen, denn inzwischen hatte er ihr den Stein gezeigt und erklärt, wie er funktionierte. Er zog seine Schiefertafel hervor und schrieb die Worte »Ja« und »Nein« darauf, dann fragte er »Sollen wir die neue Abkürzung nehmen?« Mit feierlichem Ernst sah Emmeline zu, wie der Stein kreiselte und schließlich auf dem »Ja« zur Ruhe kam.
Matthew runzelte die Stirn. Er würde es nie wagen, die Weisheit des Kristalls anzuzweifeln, dennoch sagte ihm ein inneres Gefühl, dass sie auf dem alten Trail weiterziehen sollten. Emmeline stimmte ihm zu. So wagemutig sie auch sein mochte, fand sie es doch ausgesprochen dumm, eine sichere Route für einen unerprobten Weg aufzugeben, mochte er noch so viel versprechend klingen. »Drehen Sie noch mal«, bat sie. Die Antwort kam wieder mit einem »Ja«.
Matthew rieb sich das Kinn. »Der Kristall sagt, wir sollen Arnos Tice folgen.«
»Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?« Matthew wusste nichts darauf zu sagen. Sein Leben lang hatte seine Mutter die Entscheidungen für ihn getroffen und dabei vorher stets den Wunderstein befragt. »Meine Mutter hat immer gesagt, dass der Geist des Kristalls uns führt und dass wir ihm folgen sollen.«
»Selbst wenn eine innere Stimme Ihnen etwas anderes
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