Kristall der Träume
ihre Mahlzeiten zu bereiten, waren die Pioniere auf Bisonmist – getrockneten Dung – angewiesen, den sie am Weg verstreut fanden. Die Frauen sammelten wilde Beeren und brachten es fertig, auf Kutschböcken Teig zu kneten und auf heißen Felsen Kuchen zu backen, die etwas Abwechslung in das tägliche Einerlei aus Kaffee und Bohnen brachten. Hin und wieder erlegten die Männer einen Elch, oft genug kehrten sie jedoch ohne Erfolg zurück und waren gezwungen, bei den Indianern Textilien gegen Lachs und getrocknetes Büffelfleisch einzutauschen. Dennoch ließen sich die Auswanderer von frischen Gräbern am Rande des Trails nicht entmutigen, und als der blinde Billy (so genannt, weil er bei Tageslicht kaum sehen konnte, desto besser aber bei Nacht und deshalb die Nachtwache bei den Herden übernahm) eines Morgens mit einem Pfeil im Rücken tot aufgefunden wurde, gerieten die Menschen nicht etwa in Panik, sondern hinterließen auf einem Büffelschädel eine entsprechende Warnung für die nachfolgenden Kolonnen. Wegen der vielen Missgeschicke wie umstürzende Wagen, auskeilende Ochsen, Lebensmittelvergiftung, Hunde- und Schlangenbisse, Masern, Ruhr, Kindbettfieber und Tod durch Erstechen ging Matthews Vorrat an Naht- und Verbandsmaterial allmählich zur Neige. Emmeline ihrerseits war als Hebamme immer mehr gefragt, denn mittlerweile lehnten viele Frauen Albertina Hopkins ab und baten Miss Fitzsimmons um Hilfe, wenn die Geburtswehen einsetzten. Wie Florine Benbow vorhergesagt hatte, erwies sich das »Doktorpaar« als unentbehrlich.
Und ohne sich dessen bewusst zu sein, wuchsen Emmeline und Matthew auch außerberuflich zusammen.
Des Abends, wenn die meisten Pioniere sich bereits schlafen gelegt hatten, nutzte Matthew die Ruhe im Lager, um im Schein einer Laterne Gedichte oder auch in der Bibel zu lesen. Emmeline dagegen betrachtete lieber die Sterne. »Woher wissen wir, ob wir in die richtige Richtung ziehen?«, fragte sie eines Abends. Matthew legte sein Buch beiseite und deutete auf den Nachthimmel. »Kennen Sie den Großen Bären? Diese Sterne da, die eine riesige Pfanne bilden? Sehen Sie die beiden Sterne am Ende des Griffs? Sie zeigen zum Polarstern, und der befindet sich nur etwa ein Grad vom Nordpol des Himmels entfernt.«
Emmeline sah ihn bewundernd an. »Ich muss sagen, Dr. Lively, Sie sind ein gebildeter Mann.«
Ein anderes Mal ertappte sie ihn dabei, wie er versuchte, einen Hemdknopf mit einer Chirurgennadel und Chirurgenseide anzunähen. Mit einer taktvollen Ausrede nahm sie ihm das Hemd aus der Hand und nähte den Knopf mit raschen Stichen an. Im Verlauf der Reise, tagsüber von Hitze, Staub und Fliegen geplagt, von Wolfsgeheul und wimmernden Winden nachts beunruhigt, änderte Matthew seine Meinung über Miss Fitzsimmons, die sich nie darüber beklagte, dass sie harte Arbeit verrichten müsse. Wenn die Planwagen in vom Hochwasser angeschwollenen Flüssen stecken blieben, sprang Emmeline ohne nachzudenken ins Wasser, und während sich ihre Röcke um sie bauschten, schob und drückte sie mit aller Kraft, um die Wagenräder aus dem Schlamm zu befreien.
Gemeinsam mit den Männern trieb sie die Ochsen an, sie mühte sich mit der Wäsche und zerbrochenen Wagenachsen ab, zog Büffeln die Haut ab und flickte mit geschickter Hand Zeltplanen. Mit der Zeit empfand Matthew wachsende Bewunderung für sie. Immer seltener betrachtete er des Abends die Fotografie der zerbrechlichen Honoria, und wenn er es tat, fragte er sich, wie lange sie wohl auf diesem Trail durchgehalten hätte. Mit Sicherheit wäre sie eine Last gewesen.
Matthew machte indes noch Veränderungen anderer Art durch. Sein Körper setzte Muskeln an, seine Hände wurden zunehmend sehniger und kräftiger, und die ungesunde Blässe des Stubenhockers wich einer vom Wetter gegerbten Bräune.
Dann kam der Abend, da Sean Flahertys Hündin Daisy eine von Rebecca O’Ross’ Fleischpasteten stibitzte. Als der Hund mit einem großen Stück Pastete im Maul durch das Camp jagte, verfolgt von der winzigen, ein Nudelholz schwingenden Mrs. O’Ross, brachen alle Umstehenden in schallendes Gelächter aus. Matthew, der ebenfalls lachte, schaute zu Emmeline hinüber und sah, dass ihr vor Lachen die Tränen über die Wangen liefen. Da ging ihm auf, dass sie eine leidenschaftliche Person war, was sich nicht nur darin zeigte, wie sie aß oder ihre Meinung über die Rechte der Frauen vertrat, nein, Emmeline Fitzsimmons packte und lebte das Leben mit aller Inbrunst, die Gott
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