Kristall der Träume
aus zwei stabilen Pflöcken mit einem Sitzgeflecht aus Ästen und Schilfrohren bauen lassen, das auf den Schultern von acht kräftigen Männern getragen wurde. Und so reiste Hadadezer in vollem Prunk, mit untergeschlagenen Beinen auf geflochtenen Matten sitzend, Arme und Rücken auf weichen, mit Gänsedaunen gefüllten Rehlederkissen ruhend. Da jedermann wusste, dass ein dicker Mann ein reicher Mann war, musste man Hadadezer, seinem Körperumfang nach zu urteilen, für den reichsten Mann der Welt halten.
Hadadezers lange, üppig eingeölte schwarze Haarflechten reichten ihm bis zu den Hüften, so wie sein dichter schwarzer Bart, in den noch unzählige Perlen und Muscheln gefädelt waren. Er trug einen knielangen Lederumhang, der vom Kragen bis zum Saum mit Kaurimuscheln geschmückt war und dessen Pracht die Menschen voller Ehrfurcht staunen ließ. Sechstausend Jahre später würden sich Hadadezers Nachkommen mit Gold und Silber, mit Diamanten und Smaragden schmücken, zu jener Zeit aber, da Edelmetalle und Edelsteine noch unentdeckt in der Erde ruhten, waren Kaurimuscheln eines reichen Mannes würdiger Schmuck und dienten zudem als Zahlungsmittel.
Hadadezer war als schlauer Fuchs bekannt. In jungen Jahren hatte er bereits mit dem Handel von Weihrauch begonnen, dem Harz eines Baumes mit Namen Leboneh, der im Norden wuchs. Beim Verbrennen entwickelte das Harz einen einzigartigen Wohlgeruch, was ihm größte Beliebtheit eintrug und die Nachfrage ins Unermessliche steigen ließ. Obwohl Hadadezer einen hohen Preis für sein Produkt forderte, blieb ihm nur eine geringe Gewinnspanne, denn er selber musste die Harzsammler teuer bezahlen. Auf einer seiner Reisen hatte er jedoch in nördlichen Wäldern das duftende Holz von Wacholder und Pinie entdeckt, das sich in pulverisiertem Zustand vortrefflich mit dem Weihrauch mischen ließ, ohne dass jemand den Schwindel bemerkte. Auf diese Weise konnte er seine Harzvorräte strecken und seine Gewinnmarge maximieren. Die Dorfbewohner eilten der Karawane entgegen, bewegt von der Vorfreude auf das kommende Fest. Unter der glühenden Sonne wurden eiligst Zelte errichtet, Kochfeuer angezündet, Weinschläuche und Bierfässer angestochen. Und während die Dorfbewohner neugierig durch das Karawanenlager streiften, zogen die Leute aus der Karawane ins Dorf, um sich bei Brot, Bier, Glücksspiel und Sex für die Strapazen der Reise zu entschädigen. Hadadezer lagerte gewöhnlich fünf Tage lang an der Stätte der Ewigen Quelle, dann zog die Karawane weiter nach Süden ins Niltal, wo bis zur Rückreise nach Norden wieder ein Lager aufgeschlagen wurde. Hadadezer brachte diese gewaltige Rundreise innerhalb eines Jahres hinter sich, wobei er es so einzurichten wusste, dass seine Besuche an der Stätte der Ewigen Quelle stets auf die Sommer- und Wintersonnenwende fielen.
Alle würden an dem riesigen Fest teilnehmen, ein jeder wollte sein Vergnügen und seinen Spaß haben. Mit einer unglücklichen Ausnahme.
Nachdem ihm gestattet worden war, die Prozession der Göttin zu sehen, die um das Karawanenlager abgehalten wurde, um die Besucher zu segnen, war Avram in die Weinberge zurückgeschickt worden, wo er mit seinen Brüdern Wache halten sollte. Während er mit seiner Fackel durch die Weinberge patrouillierte, dachte Avram sehnsuchtsvoll an die Männer der Karawane und ihre Geschichten von wilden Jagden, von Meeren, die Menschen verschlangen, von Frauen mit Feuer zwischen den Schenkeln und Riesen so groß wie Bäume. Die Männer waren den Nil aufwärts gereist und hatten dort Menschen, so schwarz wie die Nacht getroffen, im Norden hatten sie ein Tier gesehen, ein Mittelding zwischen Pferd und Antilope, mit zwei Höckern auf dem Rücken. Avram brannte darauf, Händler zu werden, er würde den Rest seines Lebens nicht mit dem Zermanschen von Weintrauben verbringen.
Er vermutete, dass Marit sich ebenfalls unter das fröhliche Treiben mischte, vielleicht, um Henna zu kaufen oder eine hübsche Muschelkette zu erstehen. Vielleicht würde sie sich auch aus der Gesellschaft von Mutter und Schwestern stehlen, um die Kunststücke eines trainierten Äffchens zu bestaunen. Und hier, außer Sichtweite ihrer Familie, inmitten des fröhlichen Treibens und der würzigen Schwaden von kochendem Essen würde sie womöglich nicht einmal etwas dagegen haben, wenn ein bestimmter Junge dicht neben ihr stünde und versehentlich ihren Arm streifte.
Die Leidenschaft siegte über den Gehorsam. Avram hielt es nicht länger
Weitere Kostenlose Bücher