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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hineinstopft.
    Vor Schreck ganz atemlos griff Avram sich an die Brust und tastete nach dem Lederbeutel unter seinem Umhang. Der Lederwulst war spürbar größer.
    Der blaue Kristall, das Herz der Göttin.
    Er wollte toben, wollte schreien, versuchte zu weinen, aber nichts geschah. Sein Körper gehorchte ihm nicht. Wie betäubt sah er die Frauen das Zelt abbrechen und auf einem Schlitten verstauen, und als sie sich in den Menschenzug einreihten und die Karawane sich langsam in Bewegung setzte, folgte Avram wie in Trance. Sie waren eine Gruppe von sieben Frauen: Großmutter, Mutter, drei Töchter und zwei Cousinen. Sie seien Federmacher, erklärten sie, und er dürfe sie gerne begleiten. Und so ging er mit den Federmachern, ein stummer, namenloser Knabe, der die Frauen vielleicht misstrauisch gemacht hätte, wäre da nicht seine gepflegte Erscheinung gewesen, die seine reiche Herkunft verriet.
    Avram lebte in den folgenden Tagen und Wochen wie in einem Nebelschleier. Des Tags schuftete er für die Frauen, des Nachts liebkosten sie ihn und zogen ihn an ihre üppigen Körper. Erst nach geraumer Zeit löste sich Avrams geistige Starre, und nun erkannte er, was für ein elender Schuft er war. Er hatte seinen Abba getötet, Schande über seinen Clan gebracht, einen Vertrag mit Parthalan gebrochen, Marit verlassen und, indem er das Herz der Göttin stahl, einen unvorstellbaren Frevel begangen. So kam es, dass er sich von den Federmachern, die nichts von seinem Elend wussten, trösten und Unterschlupf gewähren ließ.
    Sie ahnten nicht, dass der Junge in ihrer Gesellschaft nur ein Schatten, eine seelenlose Hülle war. Avram reagierte nach Instinkt -
    wenn er einen Becher in die Hand gedrückt bekam, trank er, und wenn die Frauen sich zu ihm legten, reagierte sein Körper und schenkte ihnen Lust. Nur er selber verspürte weder Verlangen noch Hunger oder Durst. Er bewegte sich in einem Reich zwischen Leben und Tod.
    Die Karawane, dieser träge fließende Strom menschlicher Lasttiere, bewegte sich nordwärts, am Süßwassersee und der Höhle von Allan vorbei in üppiges Waldland, wo der Lebonah-Baum wuchs. Avram zog den Schlitten der Federmacher und schlug ihr Zelt auf. Und obwohl ihm seine Sicherheit und sein Wohlergehen gleichgültig waren, raunte ihm eine innere Stimme zu, sich von Hadadezer fern zu halten, der einmal Yubals Freund gewesen war.
    Körperlich und geistig abgestumpft, sah Avram den Federmachern bei ihrer Arbeit zu, die überall dort, wo die Karawane vorbeikam, für ihre Kunstfertigkeit gerühmt wurden. Ihr Talent bestand darin, Federn so geschickt auf Leder übereinander zu schichten, wie man das vom Gefieder der Vögel kannte. Und da sie im Umgang mit Farben ebenso begabt waren, erzielten ihre Fächer, Umhänge, Gürtel und Kopfbedeckungen die höchsten Preise.
    Es war bereits Frühling, als die Karawane schließlich über einen Bergpass auf eine weite, grasige Hochebene gelangte, wo andere Familien bereits ihre Lager am Ufer eines seichten Gewässers aufgeschlagen hatten. Die Federmacher luden Avram in ihr Haus ein, das nur eine Tagereise entfernt lag und wo er ein bequemeres Leben führen könnte, bis sie sich Hadadezers Karawane wieder anschlossen. Rastlos und verwirrt spürte er in sich jedoch einen unbestimmten Drang, noch weiterzuziehen, und schloss sich einer anderen Familie an.
    So setzte Avram seine Flucht von der Stätte der Ewigen Quelle fort. Die Federmacher schenkten ihm zum Abschied einen wunderschönen Federumhang, der mit Gänsedaunen gefüttert war.
    Mit der neuen Familie wanderte Avram über das anatolische Plateau, einer grasbedeckten Ebene mit Weiden, wilden Tulpen und Päonien.
    Sie folgten riesigen Herden von Pferden, Wildeseln und Antilopen.
    Avram sah zweihöckrige Kamele, fette Murmeltiere beim Sonnenbaden, rosafarbene Sperlinge in riesigen Schwärmen und Kraniche, die ihre Nester auf dem Boden bauten. Und dennoch rührten all diese Wunder nicht an sein Gemüt. Auch dieser Familie gegenüber behielt Avram seinen Namen und seine Geschichte für sich, aber er arbeitete hart und verhielt sich unauffällig. Wenn die Frauen zu ihm ins Bett krochen, reagierte sein Körper und schenkte ihnen Lust, doch sein Herz blieb kalt.
    An der westlichen Grenze der Hochebene angekommen, nahm Avram Abschied von seinen Begleitern und setzte seinen Weg an die Küste fort, wo er an einen schmalen Wasserlauf gelangte, den er für einen Fluss hielt. In Wirklichkeit war es eine Meerenge, die zwei größere Meere

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