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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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einer weiten weißen Wildnis anlangte. Hier gab es mehr Schnee, als er je gesehen hatte, eine endlose Schneewüste, aus der sich keine Berge erhoben, die kein Horizont begrenzte und über die ein Sturm heulte, der wie das schrille Geschrei von Dämonen klang, das ihm ins Fleisch schnitt und sein Herz gefrieren ließ. Er dachte: Ich bin am Ende der Welt angelangt. Das ist mein Schicksal.
    Er stapfte voran: Der Wind riss ihm die Pelzkapuze vom Kopf und blies ihm seinen eiskalten Atem ins Gesicht. Rasch stülpte er sich die Kapuze wieder über, und während er sie mit einer Hand unter dem Kinn festhielt, marschierte er weiter, ohne zu ahnen, dass er nicht mehr auf festem Grund ging, sondern gefrorenes Wasser überquerte. Er hatte keine Ahnung, was ihn am Ende seiner Reise erwarten würde, bis auf die vage Vorstellung, dass er auf dem Weg zum Land der Toten war. Während er noch grübelte, ob er womöglich bereits tot war, brach plötzlich das Eis unter ihm, und er stürzte ins Wasser.
    Verzweifelt schlug er um sich, suchte nach einem Halt, doch jedes Mal, wenn er sich am Eis hochstemmen wollte, brach die Kante unter ihm ab.
    Er spürte, wie die Eiseskälte in seinen Körper kroch, seine Glieder wurden taub, und seine Kräfte schwanden. Sein letzter Gedanke, ehe das Wasser über ihm zusammenschlug, galt Marit im warmen Sonnenschein.
    Avram glaubte zu fliegen, aber nicht wie ein Vogel, sondern halb sitzend, halb liegend, die Arme unter warmen Felldecken verborgen.
    Reisten so die Toten zum Land der Ahnen?
    Vor seinem vermummten Gesicht sah er eine weiße Schneelandschaft vorbeihuschen. Er runzelte die Stirn. Nein, er flog nicht. Aber er rannte auch nicht, denn seine Beine waren lang ausgestreckt, ebenfalls in warme Felle verpackt. Angestrengt schaute er nach vorn, und als sein Blick sich endlich klärte, sah er, dass er von einem Rudel Wölfe davongetragen wurde. Ich bin ihr Nachtmahl. Vielleicht war das die Rache dafür, dass Yubal damals diesen Wolf getötet hatte. Der Wolfszahn bot offenbar keinen Schutz mehr. Dann fresst mich doch, rief sein verwirrter Geist. Das hab ich verdient. Dann verlor er das Bewusstsein.
    Als er wieder erwachte, sah er kleine, runde weiße Hügel näher rücken. Der Eindruck des Fliegens war vorbei, und bei genauerem Hinsehen stellte er fest, dass die Wölfe keine gewöhnlichen Wölfe waren und an Ledergurten in einem Gespann liefen. Irgendjemand stand hinter ihm, überragte ihn sogar, und rief den Wölfen Kommandos zu, aber es war unmöglich, ein Gesicht hinter der Fellvermummung zu erkennen.
    Er verlor erneut das Bewusstsein, und als er das nächste Mal erwachte, befand er sich in einer kleinen dunklen Höhle, die nach Tran und menschlichem Schweiß roch. Mit den Augen blinzelnd, versuchte er sich zu orientieren. Die Decke bestand aus Eis. War er in einer Eishöhle? Aber nein, er konnte doch die Fugen zwischen den Eisblöcken erkennen. Ein Haus – aus Eis? Und er selbst lag vollkommen nackt in einer Art Bett. Jemand hatte ihm die Kleider weggenommen! Er wollte nach seinem Talisman greifen, aber mit seinen Armen stimmte etwas nicht. Er konnte sie nicht bewegen.
    Eine Stimme ganz nah, dann ein Schatten an der Wand. Avram blinzelte erneut, und da kam ein Gesicht in sein Blickfeld. Alt, faltig, mit zahnlosem Grinsen, begann die Gestalt zu sprechen. Und dann riss sie ihm auch noch die Felldecken weg, dass er im Freien lag.
    »Unverschämte Frau!«, wollte er schreien, aber er brachte keinen Laut heraus.
    Die alte Frau spähte dem hilflos daliegenden Avram in den Mund, untersuchte seinen Nabel und betastete seine Hoden.
    Schließlich begann sie, mit ihren rauen Händen seine eiskalten Glieder zu bearbeiten, drückte und massierte seine Finger, hob sie an ihren Mund und hauchte sie an. Er spürte weder ihren Atem noch ihre Berührung. Er spürte überhaupt nichts.
    Mit besorgtem Blick hielt sie inne, murmelte unverständliche Worte und verschwand. »Du hast mich nicht zugedeckt«, wollte Avram ihr nachrufen, aber seine Lippen und Zunge gehorchten ihm nicht. Die Alte kam kurze Zeit später mit einer hoch gewachsenen, breitschultrigen Person zurück, die sich sogleich ihrer Kleiderschichten entledigte und dabei volle Brüste, eine schmale Taille und breite Hüften enthüllte. Wortlos streckte sie sich neben Avram aus und nahm ihn in die Arme. Die Alte deckte beide zu und verschwand. Avram versank immer wieder in einem Dämmerschlaf, ehe er ganz zu Bewusstsein kam. Das Erste, was er erblickte, waren

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