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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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goldene Wimpern auf weißen Wangen, eine schmale, lange Nase und ein breiter, roter Mund. Erst viel später sollte er erfahren, dass sie Frida hieß und dass sie ihn aus dem Eisloch gerettet hatte.
    Seine Genesung dauerte Wochen. Frida und die alte Frau pflegten und massierten ihn, fütterten ihn mit Fischsuppe und heilenden Kräutern. Männer schauten vorbei, hockten sich neben ihn und fragten ihn Dinge in einer Sprache, die er nicht verstand. Jede Nacht sank er in Fridas warmen Armen in tiefen Schlaf und erwachte am nächsten Morgen mit ihrem flachsblonden Haar über der Brust.
    Als er eines Morgens mit einer Erektion aufwachte, erklärte ihn die Alte für geheilt und verbannte Frida aus seinem Bett. Später sollte er erfahren, warum sie ihm das Leben gerettet hatten und das wenige, das sie besaßen, mit ihm teilten. Als Avram über den zugefrorenen See marschiert war und der Wind ihm die Kapuze herunterriss, waren zufällig Menschen, darunter Frida, in der Nähe gewesen, und sie hatte sein schwarzes Haar und seine dunkle Gesichtshaut bemerkt. Wie sie Avram später erklärte, nachdem er ihre Sprache verstand, gab es unter ihren Göttern solche mit dunklen Haaren, die Hüter der Wälder und Höhlen. Sie verfügten über wundersame Kräfte.
    Eines Morgens erhielt Avram seine Kleider zurück, die er sich hastig überstreifte. Erleichtert griff er nach dem Talismanbeutel, der immer noch an seinem Lederband hing und offenbar nicht angerührt worden war. Er öffnete ihn vorsichtig und holte seine Schätze heraus, und da, beim Anblick des blauen Kristalls, stieß die Alte einen spitzen Schrei aus und stürzte aus der Hütte. Avram konnte sie draußen sprechen hören, gleich darauf drängte sich ein riesiger Mann in die Eishütte. Einen Augenblick lang befürchtete Avram, der Mann wollte den blauen Stein stehlen, indes hockte sich dieser auf den Boden und sah den Stein voller Ehrfurcht an. Schließlich erhob er sich und bedeutete Avram, ihm nach draußen zu folgen.
    Den Talismanbeutel sicher unter seinem Umhang versteckt, setzte Avram zum ersten Mal einen Fuß nach draußen, um festzustellen, dass dieser »Morgen« nur in seiner Phantasie bestand, denn er befand sich hier in einem Land ewiger Dunkelheit.
    Menschen scharten sich um ihn, auf scheue Art neugierig auf den Unbekannten. Sie waren alle in Kapuzenjacken, Hosen und Stiefel aus wasserdichtem Seehundfell gekleidet und sahen einander so ähnlich, dass Avram sich insgeheim fragte, wie die Männer und Frauen sich zum Zweck des Vergnügens finden sollten. Am meisten ähnelten sie jedoch Geistern, denn ihre Haut glich weißem Rauch, und ihr Haar hatte die Farbe von hellem Weizen. Und dann ihre Größe! Selbst die Frauen überragten Avram um eine Handbreit. Die anderen wiederum staunten über seine kleine Statur, sein schwarzes Haar und seine Olivenhaut. Der Clanführer trat vor.
    Bodolfs hünenhafte Gestalt ließ Avram an die Bären denken, die er auf seiner Reise über den Kontinent getroffen hatte – er war ein riesiger, bleicher Bär mit einem dröhnenden Lachen. Anders als die Männer in Avrams Clan, ölte Bodolf seinen vollen Bart nicht, trug aber das lange blonde Haar in Flechten, die statt mit Muscheln und Perlen mit menschlichen Knöcheln geschmückt waren. »Von den Körpern unserer Feinde«, wie Bodolf später prahlte. In dieser Nacht
    – obwohl die Sonne nie aufgegangen war – wurde zu Ehren des Besuchers, der ein Stück vom Himmel besaß, ein großes Fest veranstaltet. Avram kostete zum ersten Mal Robbenfleisch, Fischtran und Fleisch vom Bären, dessen Fell so weiß wie Schnee war. Er war froh, dass er am Leben war und die Gesellschaft so gastfreundlicher Menschen genießen durfte, insbesondere der Frauen, die ihn faszinierend fanden.
    Bei den ersten Anzeichen des Frühlings brach Bodolfs Clan, der sich Volk des Rentiers nannte, mit den Schlitten in eine Bergregion mit reichen Fichten- und Birkenwäldern auf. Hier machten sich die Menschen an die Arbeit, fällten Bäume, um aus den Stämmen ein riesiges Blockhaus zu errichten, das Platz für alle bot. Avram packte mit an, schwang die Axt, bestrich das Holz mit Pech und teilte mit anderen die Mahlzeiten, schlief jedoch allein. Er erlernte ihre Sprache fast widerwillig und wollte auch ihre Namen nicht wissen.
    In den wenigen ruhigen Momenten, wenn er das neue sprießende Grün sah und an den Frühling in seiner Heimat dachte, ging sein Blick suchend nach Süden. Da er nicht weiter nach Norden oder Westen

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