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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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er in eine Dunkelheit, in der alles versank.
    Helles Licht. Stöhnen.
    Avram lag reglos da und fragte sich, warum er sich elend fühlte.
    Im Mund hatte er einen Geschmack wie Sägemehl, sauer und trocken. Noch ein Stöhnen. Da merkte er, dass er selbst es ausgestoßen hatte. Langsam hob er die Augenlider, um sich an das Licht zu gewöhnen. Sonnenlicht, das durch eine Öffnung im Zelt strömte. Wieso lag er in einem Zelt?
    Als er sich aufsetzen wollte, überkam ihn eine so heftige Übelkeit, dass er auf sein Lager zurücksank. Ein Lager aus Fellen.
    Nicht sein eigenes Bett.
    Wem gehörte dieses Zelt? Wie war er hierher gekommen? Er versuchte sich zu erinnern, aber sein Verstand war trübe wie ein schlammiger Teich. Endlich bekam er ein paar Erinnerungsfetzen zu fassen: das Fest zur Feier des Familienbündnisses, die Prozession zu seinem Haus, seine Großmutter, die Marit zu den Frauenräumen führt, er und Yubal wie tot auf ihren Schlafmatten. Danach nichts.
    Ein Summen ließ ihn sich umdrehen, und er sah eine dunkelhäutige Frau, die gerade dabei war, einen Korb mit Töpferwaren zu packen. Er versuchte zu sprechen, und als sie merkte, dass er wach war, gab sie ihm Wasser zu trinken, wobei sie ihm erklärte, dass sie und ihre Schwestern ihn vor ihrem Zelt, in seinem Erbrochenen liegend, gefunden hatten. Worauf sie ihn ins Zelt gebracht, gesäubert und dem Schlaf der Gerechten überlassen hatten.
    Er setzte sich auf und rieb sich den Schädel, in dem böse Dämonen tanzten. So elend hatte sich der Sechzehnjährige noch nie zuvor gefühlt. Mir war übel? Ich hab mich erbrochen? Warum bin ich hier im Karawanenlager, warum nicht zu Hause? Es gelang ihm irgendwie, auf die Beine zu kommen, und während er immer noch leicht schwankend zusah, wie die Frau das Zelt ausräumte, fiel ihm ein, dass Hadadezers Karawane an diesem Morgen aufbrechen sollte.
    Ich muss nach Hause, bevor man mich vermisst. Ein dringendes Bedürfnis trieb ihn aus dem Zelt, und während er sich in einer Ecke erleichterte und zu seinem Dorf hinübersah, erhob sich dort ein Wehklagen und Wehgeschrei, wie es nur angestimmt wurde, wenn eine wichtige Person gestorben war. Avram ging um das Zelt herum zu der Frau zurück und fragte sie, was im Dorf geschehen sei.
    Worauf sie ihm erklärte, dass der Weinbauer in den Armen eines jungen Mädchens gestorben sei. Avram blinzelte entgeistert.
    Weinbauer? In den Armen eines jungen Mädchens?
    Blitzartig kam die Erinnerung zurück: Avram wacht auf und sieht, wie Yubal Marit in den Armen hält und küsst. Die Flucht in den Garten, die erhobene Faust und der gen Himmel ausgestoßene Fluch. Und dann…
    Jetzt fiel ihm das ganze schreckliche Geschehen wieder ein, das er, zwischen den Weinstöcken versteckt, beobachtet hatte: ein Schrei, und Marit stürzt aus dem Haus. Gefolgt von seiner Großmutter, die sich unter Wehklagen an die Brust schlägt. Avrams Brüder, die herumtorkeln, als seien sie vom Blitz getroffen. Die Nachbarn kommen angerannt, eilen ins Haus. Dann die Schreie:
    »Yubal ist tot! Der Abba des Talitha-Clans ist zu seinen Ahnen gegangen! « Avram erinnerte sich jetzt wieder, dass er im Schock wie angewurzelt zwischen den Weinstöcken sitzen blieb. Yubal war tot? Dann eine andere Erinnerung: Avrams geballte Faust und sein Fluch: »Mögest du tausend schreckliche Tode sterben!«
    Blindlings war er aus dem Weinberg davongejagt, bis er sich vor dem Schrein der Göttin wiederfand.
    Bruchstückhaft holte die Erinnerung ihn wieder ein. Al-Iaris Haus, eng und niedrig, im milden Schein der Öllampen die Borde mit Zauberamuletten, Heilkräutern, Tränken, Pülverchen und Fruchtbarkeitstalismanen. Und auf dem Altar… Die Statue.
    Im Lampenlicht funkelnd, der blaue Kristall. Das Herz der Göttin. Ihr versöhnliches Herz. In seiner Trunkenheit und Verzweiflung hatte Avram die Beine der Göttin umschlungen, dann das Gleichgewicht verloren und die Statue umgerissen. Ein lautes Krachen.
    Die Göttin lag in tausend Stücken auf dem Boden. Unvorstellbar, unmöglich! Das war alles ein einziger fürchterlicher Albtraum!
    Er hörte, wie die dunkelhäutige Frau ihn etwas fragte, und blinzelte sie hilflos an. »Hast du den Weinbauern gekannt?«, wiederholte sie. Aber all seine Gedanken kreisten nur um die Statue von Al-Iari. Es war kein Albtraum. Er hatte die Göttin getötet. Und noch eine Erinnerung: seine Hand, die blind nach dem blauen Kristall greift, ihn umschließt, an seinem Talismanbeutel nestelt und den Stein

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