Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
auferstand. An diese erbarmungsvolle Mutter also, an die Königin des Himmels, richtete Amelia ihr Gebet.
    »Bitte lass dieses Kind ohne Fehl und Makel sein. Lass den Ehemann meiner Tochter Gefallen an ihm finden und es in die Familie aufnehmen.«
    Ihre geflüsterten Worte klangen hohl in der Stille des Morgens.
    Hohl, weil sie ohne Sinn waren, weil kein Glaube hinter ihnen stand.
    Das Gebet war ein reines Lippenbekenntnis vor einem Stück Marmor, und Amelia führte diesen Akt der Frömmigkeit nur aus, weil man dergleichen von ihr erwartete. Als römische Mustergattin tat sie immer das Richtige, wahrte stets den Schein. Tief in ihrem Herzen jedoch war sie bar jeden Glaubens. Woran sollte eine Frau noch glauben, wenn die Männer das Recht hatten, ein unerwünschtes Kind wie ein Stück Abfall zu entsorgen?
    Nach Beendigung ihres Gebets bekreuzigte sie sich, indem sie die Schultern, die Stirn und die Brust berührte, denn sie war einst eine Anhängerin von Hermes gewesen, dem antiken Erlösergott, der als Fleisch gewordenes Wort galt. Das Kreuzzeichen machte sie aus jahrelanger Gewohnheit. Amelia glaubte nicht mehr an die Kraft des Zeichens. Es gab einmal eine Zeit, da hatten ihr die Gebete und die Gottheiten Trost gespendet, aber nun waren die Götter verschwunden, und es gab keinen Trost mehr auf der Welt. Schreie erfüllten plötzlich das Haus, hallten von den Wänden, Säulen und Statuen wider. Amelias Tochter lag seit anderthalb Tagen in den Wehen, und die Hebammen wurden allmählich unruhig. Amalia wandte sich von der Schutzgöttin der Geburt ab und begab sich in den schattigen Säulengang, der den Innenhof der Villa umschloss und in dem ein Springbrunnen fröhlich plätscherte. Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, das Heiligtum der Ahnen aufzusuchen, sie betete schon seit Jahren nicht mehr zu ihnen. Lautlos schlüpfte sie am Atrium und den jungen Männern vorbei, die dort beim Würfelspiel lachten und sich nicht um die Schreie kümmerten, die die Morgenstille zerrissen. Es waren Amelias drei Söhne und zwei Schwiegersöhne ebenso wie enge Freunde des jungen Mannes, dessen Kind sich gerade mühte, ans Licht der Welt zu kommen.
    Durch die offene Tür konnte sie den Ehemann ihrer Tochter sehen, den werdenden Vater, der mit aller Gelassenheit Wein trank und würfelte, als ob es ihn nicht kümmerte. Was es vermutlich auch nicht tat, dachte Amelia mit ungewohnter Bitterkeit. Kindergebären war allein Sache der Frauen. Ein dunkler Schatten kreuzte Amelias Gedanken: Wir Frauen tragen Kinder unter unserem Herzen, ernähren sie mit unserem Atem und unserem Blut, unser Herz gibt ihnen Leben, und beinahe zehn Monate lang sind wir eins mit unserem Kind; dann kommen die Geburtswehen, das Reißen von Fleisch und das Strömen von Blut, wenn unter Qualen neues Leben ans Licht der Welt gepresst wird. Für dich, junger Vater, gibt es weder Schmerzen noch Blut. Ein Moment ekstatischer Lust, und neun Monate später trinkst du Wein und entscheidest über das Schicksal des Neugeborenen.
    Heftiger Groll überkam Amelia. Er richtete sich nicht nur gegen ihren Schwiegersohn, sondern gegen alle Männer, die über Leben und Tod so locker entschieden, als sei es ein Würfelspiel. So hatte sie nicht immer empfunden. Vor langer Zeit hatte Amelia, Gattin des mächtigen und noblen Cornelius Gaius Vitellius, noch an die Götter geglaubt und gedacht, das Leben sei gut, die Männer seien gut. Ihre Lebensfreude und ihr Glaube waren jedoch an jenem Tag erloschen, da der Tod über das Leben entschieden hatte. Ein Tag, der dem heutigen durchaus ähnelte.
    Mit einem Mal trat ihr ein älterer Mann in den Weg, der Vogeldeuter, den sie dafür bezahlte, dass er die Zeichen las. Der alte Grieche betrieb damit einen lukrativen Handel, weil die Römer als abergläubisches Volk immerzu auf der Suche nach Vorzeichen und Omen waren und aus jeder Wolke und jedem Donnerschlag eine Botschaft herauslasen. Für einen Römer begann der Tag damit zu bestimmen, ob es ein günstiger Tag für Geschäfte, zum Heiraten oder zum Bereiten einer Fischsauce war. Und von allen Hilfsmitteln zur Erkundung des göttlichen Willens – von Knöchelbeinen bis hin zu Teeblättern – stellte die Vogelschau das wichtigste dar – selbst das Wort Auspizien, also Vorzeichen, leitete sich aus der Deutung göttlicher Zeichen ab.
    »Ich habe die Auspizien gelesen, Gebieterin«, begann der Vogeldeuter. »Ich sehe einen Mann. Und er heißt Euch mit offenen Armen willkommen.«
    »Mich? Du

Weitere Kostenlose Bücher