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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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eisigen Norden hatte Avram eine Spur des Lebens hinterlassen, die Blutlinie von Talitha und Yubal, damit sie von anderen fortgesetzt würde.

    Interim

    Avram hatte nie verstanden, warum ausgerechnet er mit dem Wissen um die Zeugung gesegnet worden war. Aber die Göttin hatte ihre Gründe, und er dankte ihr jeden Morgen und jeden Abend aufs Neue und pries sie als Allmutter. In einer fernen Zeit sollte der Allmutter ein Allvater an die Seite gestellt werden, bis sie eines Tages ganz vom Vater verdrängt sein würde.
    Jericho florierte. Avram und Marit bekamen weitere Kinder, Namirs Ziegenherde wuchs beständig, noch mehr junge Hunde wurden geboren, und aus Guri, dem Lampenmacher, wurde ein erfolgreicher Schweinezüchter. Weizen und Mais, Baumwolle und Flachs wurden angebaut, die Nutztiere lieferten Milch, Eier und Wolle. Mit wachsendem Wohlstand der Menschen vergrößerte sich auch der Schrein der Göttin, und die Schar ihrer Priesterinnen vermehrte sich. Die Mauern von Jericho hatten keine Ähnlichkeit mehr mit denen, die Avram einst hatte errichten lassen, denn sie waren im Laufe der Jahrhunderte wiederholt gefallen, aber immer wieder aufgebaut worden. Die Kunst der Textilherstellung kam nach Jericho, ebenso wie das Alphabet und die Kunst des Schreibens.
    Zweitausend Jahre nachdem Avram und Marit zu den Ahnen gegangen waren, stieß ein Töpfer namens Azizu versehentlich seine Töpferscheibe um, und als er sie auf der Seite liegend kreiseln sah, kam ihm eine Idee. Nach vielen Fehlversuchen gelang es ihm schließlich, zwei Räder an einer Achse zu befestigen, auf die er einen Karren setzte und somit zehnmal mehr Töpferwaren als zuvor befördern konnte. Seinem Bekunden nach verdankte er seine Eingebung einem Besuch am Schrein der Göttin, wobei er ihr blaues Kristallherz als Glücksbringer geküsst hatte. Viertausend Jahre nachdem Hadadezer Avram mit aus dem Fluss gewaschenen Kupferklumpen geblendet hatte, bauten die Menschen Kupfer und Zinn ab, um daraus Bronze zu machen. Tausend Jahre später entdeckten sie das Eisen, und die Welt veränderte sich für immer.
    In dem Maße, wie die Bevölkerung wuchs, wurden aus Ansiedlungen Dörfer, aus Dörfern wurden Städte. Aus den Massen erhoben sich Anführer und nannten sich »König« oder »Königin«, um über andere zu herrschen. Mit Al-Iaris Macht wuchs auch ihr Schrein: Er wurde zum Tabernakel, dann zum Tempel mit Priestern und Priesterinnen. Ihr Volk nannte sich Kanaaniter, und Reisende aus Babylon und Sumer erkannten in ihr ihre Göttinnen Ishtar und Inanna. Neben Baal wurde sie als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt, und obwohl sich ihr Erscheinungsbild im Laufe der Jahre veränderte und ihre Statue viele Male erneuert wurde, bildete der blaue Kristall stets das Herzstück.
    Und so hatte sie Tausende von Generationen überlebt. Dann kamen Eindringlinge aus dem Niltal, angeführt von einem kriegerischen Pharao namens Amenhotep, der nicht nur Gefangene nahm, sondern auch Gottheiten raubte, darunter die Göttin von Jericho, die man vorübergehend und ohne jeden Respekt in dem Tempel einer ägyptischen Göttin niederen Ranges unterbrachte, bis ihr Kristallherz einer ehebrecherischen Königin ins Auge stach. Als die Königin in einem Grab von unvorstellbarer Pracht (dank der Gewissenbisse des Königs, der sie vergiftet hatte) zur letzten Ruhe gebettet wurde, ging der blaue Kristall mit ihr. In einer luftdichten Kammer ruhten die Königin und der Kristall tausend Jahre lang, anonym und vergessen, bis betrunkene Grabräuber in die Grabkammer einbrachen und den uralten blauen Stein ans Tageslicht holten. In den folgenden Jahren wanderte der tropfenförmige himmelblaue Kristall von Hand zu Hand, er wurde erworben und verkauft, gestohlen, umkämpft und verspielt, bis er in Alexandria in den Besitz eines hohen römischen Beamten gelangte, der den Stein für seine Frau an einer prachtvollen Goldkette fassen ließ. Das Geschenk war als Bestrafung gedacht.

VIERTES BUCH

Rom

    Im Jahre 64 n. Chr.

    Amelia sandte ein Stoßgebet zum Himmel. »Lass das Kind gesund sein.«
    Im Schrein der Hausgötter konnte Amelia unter den Mächtigsten des Pantheon wählen. Die besonderen Umstände erforderten jedoch die Fürsprache einer Göttin, die von den Menschen Heilige Jungfrau genannt wurde (sie hatte ein Kind ohne das Zutun eines Mannes empfangen), einer Göttin also, die das Leid am eigenen Leib erfahren hatte, als ihr Sohn an einem Baum aufgehängt wurde, in die Unterwelt abstieg und wieder

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