Kristin Lavranstochter 2
einflößte. In Erinnerung an die Worte Sira Eilivs vom Tage zuvor begriff sie plötzlich: soviel Angst sie auch um ihre verwegenen Söhne empfunden und wie hart sie sie auch oft deshalb angefaßt hatte -viel weniger zufrieden wäre sie doch mit ihren Kindern gewesen, hätten sie sich zahm und furchtsam erwiesen.
Dann fragte und fragte sie immer wieder nach ihrem Sohnessohn, dem kleinen Erlend, aber den hatte Skule wohl nicht weiter beachtet - ja, er sei gesund und schön und gewohnt, stets seinen Willen zu bekommen.
Der unheimliche blutige Schimmer im Nebel verblaßte, und die Dunkelheit fiel nach und nach ein. Die Glocken der Kirche begannen zu läuten; Kristin und ihr Sohn erhoben sich. Da ergriff Skule ihre Hand.
„Mutter“, sagte er leise. „Entsinnt Ihr Euch, ich habe einmal Hand an Euch gelegt? Ich schleuderte im Zorn einen hölzernen Ballschläger nach Euch, traf Euch an der Stirne - entsinnt Ihr Euch? Mutter, solange wir allein sind, sagt mir, daß Ihr mir dies ganz und gar vergeben habt!“
Kristin atmete tief auf, ja, sie erinnerte sich. Sie hatte den Zwillingen befohlen, mit einem Auftrag zur Alm hinaufzugehen
- aber als sie auf den Hofplatz hinauskam, stand das Pferd da und graste, mitsamt dem Saumsattel, und die Söhne sprangen umher und spielten mit einem Ballschläger. Als sie die Knaben deshalb zurechtwies, schleuderte Skule den Schläger in hellem Zorn von sich. Am deutlichsten aber erinnerte sie sich noch, wie ihr Lid so anschwoll, daß das Auge ganz verdeckt war: die Brüder sahen sie und Skule an und wichen vor dem Knaben zurück, als sei er aussätzig - Naakkve hatte ihn vorher noch erbarmungslos verprügelt. Und Skule ging umher und setzte sich hin, kochend vor Trotz und Scham hinter der harten, höhnischen Miene. Als sie aber am Abend im Dunkeln dastand und ihre Kleider ablegte, schlich er sich heran - sagte nichts, sondern ergriff ihre Hand und küßte sie. Und als sie ihn an der Schulter berührte, schlang er seine Arme um ihren Hals und drückte seine Wange an die ihre - sie war noch kühl und weich und ein wenig rund; die Wange eines Kindes noch, das fühlte sie - er war doch nur ein Kind, dieser trotzige, heftige Knabe...
„Das habe ich, Skule - so vollkommen, wie Gott nur allein es weiß, denn ich kann dir nicht sagen, wie ganz und gar ich dir dies vergeben habe, mein Sohn!“
Einen Augenblick stand sie da, die Hand auf seine Schulter gelegt. Da ergriff er ihr Handgelenk, drückte es so hart, daß sie aufstöhnte - im nächsten Augenblick warf er sich ihr an die Brust, so innig zärtlich und ängstlich und beschämt wie damals.
„Mein Sohn - was ist mit dir?“ fragte die Mutter erschrocken.
Sie fühlte im Dunkeln, daß der Mann den Kopf schüttelte. Dann ließ er sie los, und sie gingen zur Kirche hinauf.
Während der Messe fiel es Kristin ein, daß sie den Umhang der blinden Frau Aasa vergessen hatte, als sie am Morgen miteinander auf der Bank vor der Priestertüre saßen. Sie ging deshalb nach dem Gottesdienst hin, um ihn zu holen.
Unter dem Türbogen stand Sira Eiliv mit seinem Licht in der Hand und bei ihm Skule. „Er starb, als wir am Bollwerk anlegten“, hörte sie Skule sagen, mit seltsam wilder und verzweifelter Stimme.
„Wer?“
Beide Männer schraken heftig zusammen, als sie Kristin sahen.
„Einer von meinen Schiffsleuten“, sagte Skule leise.
Kristin blickte von einem zum anderen. Sie sah ihre Gesichter im Scheine der Laterne, bis zum Äußersten gespannt, so daß sie unwillkürlich einen kleinen Angstruf ausstieß. Der Priester biß sich in die Unterlippe - sie sah, daß sein Kinn ein wenig zitterte.
„Es ist am richtigsten, mein Sohn, du sagst es deiner Mutter. Besser, wir alle bereiten uns darauf vor, es zu tragen, wenn Gott will, daß auch dieses Volk erweckt werde und ein so hartes ..." Doch Skule stöhnte auf und sagte nichts; da fuhr der Priester fort: „Es ist eine große Seuche nach Björgvin gekommen, Kristin. Jene große Todesseuche - von der wir schon Gerüchte vernommen haben und die alle Länder rings in der Welt verheeren soll...“
„Die schwarze Pest?“ flüsterte Kristin.
„Es nützt nichts, wenn ich euch schildern wollte, wie es in Björgvin aussah, als ich von dort wegfuhr“, sagte Skule. „Niemand kann sich das ausdenken, der es nicht gesehen hat. Herr Bjarne griff zuerst hart zu, um den Brand zu ersticken, wo er ausbrach, drüben in den Höfen rings um das Jonskloster. Er wollte ganz Nordneset mit den Burgknechten
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