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Kristin Lavranstochter 2

Titel: Kristin Lavranstochter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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im Lauf der Nacht einmal mit einer Arznei, die sie bereitet hatte, in die Krankenstube, und Schwester Agata fragte, ob sie es wage, hierzubleiben und das Feuer zu hüten.
    * (lat.) Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
    Es dünkte Kristin selbst, sie müsse abgehärtet sein, vertraut mit Geburt und Tod, wie sie war; sie hatte schon schlimmere Dinge gesehen als dies hier, sie bemühte sich, an alles Schlimmste zu denken, was sie je gesehen hatte ... Der Pestkranke saß ganz aufrecht da, denn er erstickte fast an dem blutigen Schleim, der ihm bei jedem Hustenanfall in den Mund drang - Schwester Agata hatte ihm ein paar Gurte über die magere gelbe und rotbehaarte Brust gebunden und ihn so gleichsam aufgehängt, und sein Kopf sank nach vorne, das Gesicht war blaugrau wie Blei, von Zeit zu Zeit wurde er von Frostschauern geschüttelt. Aber Schwester Agata saß ruhig da und sprach ihre Gebete, und wenn der Husten wieder einsetzte, erhob sie sich, umfaßte mit einem Arm den Kopf des Kranken und hielt ihm eine Tasse an den Mund. Der Kranke brüllte vor Jammer, verdrehte die Augen entsetzlich und streckte zuletzt eine schwarze Zunge weit aus dem Mund heraus, während seine Notrufe in jämmerlichem Stöhnen erstarben. Die Nonne leerte die Tasse ins Feuer aus - und während Kristin noch mehr Wacholder auflegte und die nassen Zweige den Raum zuerst mit scharfem gelbem Rauch erfüllten und dann in hellen Flammen aufprasselten, sah sie, wie Schwester Agata Kissen und Decken unter dem Rücken und den Armhöhlen des Kranken zurechtschüttelte, ihm das Gesicht und die braunen gesprungenen Lippen mit Essigwasser wusch und die beschmutzte Decke über seinen Körper hochzog. Es sei bald zu Ende, sagte sie zu Kristin, er sei bereits kalt, zuerst habe er wie Feuer geglüht - aber Sira Eiliv habe ihn schon für seinen Heimgang vorbereitet. Dann setzte sie sich bei ihm nieder, schob mit der Zunge das Stück Kalmuswurzel an seinen Platz in ihrer Wange und betete wiederum.
    Kristin versuchte das fürchterliche Entsetzen, das sie empfand, zu überwinden. Sie hatte Menschen einen härteren Tod sterben sehen. Aber es half nichts - dies war die Pest, die Geißel des Herrn über der geheimen Hartherzigkeit aller Menschen, von der nur der allwissende Gott wußte. Schwindelnd hatte sie ein Gefühl, als schaukle sie auf einem Meer, auf dem alle bitteren und zornigen Gedanken, die sie in dieser Welt gedacht hatte, sich zu einer einzigen Welle zwischen Tausenden auftürmten und in ratlosem Schmerz und Jammer zusammenbrachen. Herr, hilf uns, wir vergehen ...
    Im Lauf der Nacht kam Sira Eiliv. Mit scharfen Worten wies er Schwester Agata zurecht, weil sie nicht, seinem Rat folgend, ein Stück Leinwand, in Essig getaucht, vor Mund und Nase gebunden hatte. Verdrossen murmelte sie, daß dies nichts nütze -jetzt aber mußten sowohl sie als auch Kristin seinem Befehl nachkommen.
    Die Ruhe und Festigkeit des Priesters verliehen Kristin eine Art Mut - oder erweckten ein Schamgefühl in ihr, sie wagte sich jetzt aus dem Wacholderrauch heraus und ging Schwester Agata an die Hand. Von dem Kranken strömte ein erstickender Gestank aus, den der Rauch nicht zu übertäuben vermochte -Kot, Blut, saurer Schweiß und ein verfaulter Geruch aus seinem Hals. Sie erinnerte sich der Worte Skules über den Lemmingzug ; noch einmal überfiel sie der entsetzliche Drang zu fliehen, obgleich sie wußte, daß es keinen Ort gab, zu dem sie vor diesem hinfliehen konnte. Als sie sich aber erst einmal überwunden hatte, den Sterbenden anzufassen, war das Ärgste überstanden, und sie half, so gut sie konnte, bis er seinen letzten Atemzug getan hatte. Da war er bereits schwarz im Gesicht.
    Die Nonnen machten eine Prozession mit den Reliquien, mit dem Kreuz und mit brennenden Kerzen rings um die Kirche und den Klosterhügel, und jeder aus der Gemeinde, der nur gehen und kriechen konnte, folgte. Aber nur wenige Tage später starb eine Frau drinnen bei Strömmen - und dann brach die Seuche plötzlich auf jedem Hof im ganzen Tal aus.
    Tod und Grauen und Not schienen die Menschen in eine zeitlose Welt zu versetzen; wollte man die Tage zählen, so waren nicht mehr als einige Wochen vergangen - und dennoch schien es, als sei die Welt, die einmal gewesen war, ehe die Pest und der Tod nackt über das Land wanderten, aus dem Gedächtnis der Menschen entschwunden, so wie die Küste versinkt, wenn das Schiff mit vollen Segeln ins Meer hinauszieht. Es war, als vermöchte

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