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Krock & Co.

Krock & Co.

Titel: Krock & Co. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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die Tiere wirklich der einzige Grund zur Übersiedelung gewesen? Gab es nicht einen anderen?…
    Studer lehnte sich auf der Bank zurück. Die Wolken gingen vor zu einem neuen Angriff auf den See. Grau wurde der Himmel, ein großer geduldiger Wind begann wieder zu blasen und streichelte mit seiner riesigen Hand die Spitzen der Gräser, die sich neigten vor ihm. Winzig, wie ein Spielzeug, lag auf dem See ein weißer Dampfer, aus seinem Kamin quoll der Rauch, der aussah wie verfilzte graue Metallriemen, wie Abfall von einer Drehbank…
    Ein Gewinde war eingeschnitten worden in das stumpfe Ende der Speiche… Wozu die spiralige Linie? Um den Griff daran festzuschrauben! Wo war der Griff?… vielleicht hatte Martha Loppacher ihr elegantes Zimmer im Hotel ›zum Hirschen‹ nur deshalb verlassen, um in der Werkstatt drüben nach dem versteckten Griff zu suchen… Dann – dann war doch der »Grofe-n-Ernscht« der Schuldige? Oder – um die Frage richtiger zu stellen – dann meinte das Bürofräulein , der Ernst sei der Schuldige?
    Der Griff! Er war leicht zu verstecken. Natürlich hatte die Behörde eine Haussuchung veranstaltet. Sie war – wie die beliebte Formel lautete – resultatlos verlaufen. So resultatlos, daß die Behörde schon davon sprach, den Velohändler aus der Haft zu entlassen, weil es immerhin möglich war, daß Joachim Krock den Mord begangen hatte…
    Herr Joachim Krock! Er war gekommen, hatte Klavier gespielt, mit der Behörde gesprochen, sich mit Anni, der Wirtin, gezankt, hatte dann ein Glas ›Wormet‹ getrunken und war gestorben… Und ein Bankier aus Paris, mit Namen Gardiny, beauftragte eine italienische Saaltochter, das Auto des Verstorbenen nach Rorschach zu bringen, erschien dann am Nachmittag vor dem Hotel ›zum Hirschen‹ und verlangte das Zimmer, in dem Joachim Krock, Inhaber eines Auskunfteibüros in St. Gallen, gewohnt hatte…
    Das nannte man in der Fachsprache: Duplizität der Fälle. Wiederholung… Martha Loppacher zieht zum Velohändler, um dort etwas zu suchen, Bankier Gardiny verlangt das Zimmer des – sagen wir es ruhig: des Wucherers Krock… Wahrscheinlich in der Hoffnung, in diesem Zimmer etwas zu finden, was der Behörde sowohl als auch einem Fahnderwachtmeister aus Bern entgangen ist. Denn zweifellos stand eines fest: die Bande – oder wenn man ein weniger hochtrabendes Wort gebrauchen wollte: die Verbündeten – mußten die Persönlichkeit des Wachtmeister kennen.
    Dies war die einzige Erklärung für das vergiftete Wermutglas…
    Deutlich sah Studer die Szene im Speisesaal; ganz genau erinnerte er sich der Gedanken, die ihm durch den Kopf gegangen waren, damals – wann damals? Gestern abend!… Niemand gab auf ihn acht, als er die Gläser vertauschte – und auch heute, auch jetzt in diesem Augenblick, hätte er keinen zureichenden Grund für diese Handlung angeben können. Ein Mißtrauen vor den schon gefüllten Gläsern, weiter nichts. Und dieses Mißtrauen hatte einem Menschen das Leben gekostet. Nun, jeder ist sich selbst der Nächste – die Maulwurfshügel der Gräber vor seinen Augen mochten noch so einladend sei, Ruhe verheißen und Frieden – der Wachtmeister hatte keine Lust, jetzt schon in den ewigen Frieden einzugehen… Darum hatte er die Gläser vertauscht, ahnungslos!
    Aber… Auf eines kann er schwören: weder Joachim Krock noch die Saaltochter und auch nicht der Wachtmeister haben gewußt, daß eines der Wermutgläser vergiftet war.
    »Prost!« – »Gesundheit!« – »G'sundheit!«
    Herr Krock trinkt, stellt das Glas ab. Kein neugieriger Blick streift den Wachtmeister – und mag sich einer noch so sehr in der Gewalt haben, ein Zucken der Gesichtsmuskeln, ein Beben der Lider, einen Ausdruck in den Augen wird er nicht unterdrücken können. Und wenn es ihm gelingt, all diese Regungen zu beherrschen, so wird wenigstens in seiner Stimme ein Zittern festzustellen sein…
    Nichts! Nichts! Auch bei der Otti ist nichts dergleichen zu bemerken gewesen. Und beim Anni? Am gleichen Abend ist er mit seinem ehemaligen Schulschatz unter der Linde gesessen. Und das Anni ist zwar traurig gewesen, hat sich über den Rechsteiner beklagt – aber sonst?…
    Eins nach dem andern! Langsam einen Gedanken nach dem andern prüfen… Die Toten werden wohl nichts dagegen haben, wenn man, um besser nachdenken zu können, eine Brissago anzündet: Die Atropin-Hyoscin-Kügeli – die Tollkirsche-Bilsenkraut-Medizin – ist auf dem Nachttisch des Rechsteiners gelegen.

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