Krock & Co.
Rückantwort… Die Rechnung könnt Ihr ja den St. Gallern stellen. Aadieu!«
Als Studer aus der Post trat, kam ihm ein Mann entgegen, der auf seiner ganzen Person so deutlich die Zeichen seines Berufes trug, daß es Zeitverschwendung gewesen wäre, ihn nach diesem zu fragen. Ein schwarzer Gehrock erreichte mit seinem unteren Saume gerade die Kniekehlen des Mannes, die Weste ließ nur ein kleines Dreieck von gestärkter Hemdbrust frei, der steife Kragen mit den geknickten Spitzen trug vorne ein schwarzes Mäschlein, das mittels eines Gummibandes im Nacken festgehalten wurde. Ein Schnurrbart, ähnlich dem des Wachtmeisters, fiel über den Mund, wenn der Mann schwieg, und wenn er sprach, machte sich die Unterlippe von den Falten dieses Borstenvorhanges frei und zeigte sich dann schmal, rot und beweglich.
»Eh, Gott grüeß-ech woll, Wachtmeischter!« sagte der Mann in Schwarz. Heimatliche Laute! Wie kam ein Berner Pfarrer in ein Appenzeller Dörfli?
»Grüeß-ech, Herr Pfarrer!« sagte Studer und schüttelte dem Manne die Hand. Sie war trocken und knochig und warm.
»Und, heit'r öppis g'funde?« fragte Herr de Quervain, nachdem er sich vorgestellt hatte. – »Nüd Apartigs« meinte Studer, dem der Mann wie gerufen kam. Ein Pfarrer! Der wußte sicher Bescheid im Dörfli.
Sie gingen auf der Straße weiter. Die kleinen Fenster, die stets die ganze Vorderfront der Häuser einnahmen, waren mit Vorhängen verhangen – aber die Vorhänge bewegten sich. Kein Zweifel: Der Berner Fahnder erregte Aufsehen. Und wenn es auch nur alte Frauen waren, die hinter den Vorhängen lauerten – alte Frauen haben gelenkige Zungen. Sicher würde schon am Abendessen die Anwesenheit des Wachtmeisters und sein Gespräch mit dem Pfarrer bei Tisch verhandelt werden. Übrigens profitierte Studer sogleich von der Einladung Herrn de Quervains, einige seiner Pfarrkinder zu besuchen. Der Wachtmeister hatte beschlossen, das Hotel ›zum Hirschen‹ erst nach Einbruch der Dunkelheit aufzusuchen… Und bis dahin hatte es Zeit.
Häuser, Häuser, Häuser… Sie glichen sich alle. Vier, manchmal fünf Stufen führten zur Haustür, dann kam eine Art Vorraum – das Kuchistübli, erklärte der Pfarrer. Hier nehme man die Mahlzeiten im Sommer. Eine Tür führte von diesem Vorraum in die Küche und von dieser – rechtwinklig – eine andere in die richtige Stube. Schön waren diese alten Holzstuben mit ihrer breiten Fensterfront – breit, nicht hoch, sehr niedrig übrigens waren diese Fenster, die, ohne Angeln, in die Holzwand eingelassen waren. Zwei oder drei ließen sich öffnen – besser – aufschieben. Blumentöpfe standen davor: Geranien glühten rot und fingen noch, als hätten sie nicht genug eigene Farbe, die purpurnen Strahlen der sinkenden Sonne auf…
Alle Mühe gab sich Pfarrer de Quervain, um das Mißtrauen zu zerstreuen, das Studers Erscheinen jedesmal auslöste. Aber allzuviel Mühe brauchte er sich nicht zu geben, der Berner Wachtmeister fand den richtigen Ton, erzählte von Anni Rechsteiner, das ein Schulschatz von ihm gewesen sei – und es war merkwürdig: der Wirtin Name löste die Zungen, verscheuchte den Verdacht… Die Bäuerin – oder wenn diese noch auf dem Feld war, die Großmutter – taute auf: ja, das Anni Rechsteiner! Gegen die Frau sei nichts zu sagen. Wacker! Und gut! – Begann jedoch der Wachtmeister vom Hirschenwirt zu reden, so schlossen sich die Münder, Angst trat in die Augen, die Blicke wichen aus, suchten die Winkel und Ecken der Stuben auf… Dann war es besser, man empfahl sich. Der Pfarrer gab das Zeichen zum Aufbruch. Und draußen sagte er dann:
– Auch diese Leute seien dem Rechsteiner Geld schuldig. Begreiflich. Das Bauerngewerbe habe hier oben nie viel eingebracht, es sei mehr nebenher betrieben worden. Haupterwerb aber sei die Stickerei gewesen. Und seit der Krise ständen alle Stickmaschinen still. Früher – ja früher! Da sei in allen Häusern gesungen worden – manchmal auch geflucht, natürlich, das gehöre zu jeder ehrlichen Arbeit. Der Mann sei am Pantograph gesessen, die Tochter habe gefädelt, die Frau hie und da ausgeholfen – kurz, es sei gegangen.
Sie traten in ein anderes Haus, da war der Mann daheim. Die Frau saß in der Küche und schälte Erdäpfel, die sie dann in einen Kessel fallen ließ. Der Mann saß am Tisch und studierte die Zeitung. Es lag eine so arge Trostlosigkeit im Raum, daß es Studer unwillkürlich fröstelte.
– So gehe es nicht weiter, meinte der Mann. Er
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