Krock & Co.
kam die Nacht und sammelte die verstreuten Lumpen. Und hinterher rauschte ihre Schleppe, und der Abendwind, der ihr entgegenflog, blähte die Seide, die silberbestickte. Dann ruhte die Nacht auf den Hügeln, der Wind schlief ein und der schillernde Stoff der Schleppe legte sich über das stille Land…
»Herr Pfarrer«, wiederholte Studer, und sein Begleiter merkte, daß ihm das Reden schwerfiel. »Ich hätt' eine Bitte an Euch. Könnt Ihr morgen beizeiten ins Hotel ›zum Hirschen‹ kommen?«
»Beizeiten, Wachtmeister? Was nennt Ihr beizeiten?«
Studer schwieg. Er rechnete, ohne die Lippen zu bewegen. Um sechs Uhr hatte er die Telegramme abgeschickt – reichlich spät, sicher waren alle Büros schon geschlossen. Aber in Paris – das wußte Studer – hatte stets wenigstens ein Mann Nachtdienst. Um sieben Uhr – spätestens – würde sein Telegramm auf der Police judiciaire – auf der ›Gerichtspolizei‹ sein; und um halb acht in den Händen seines Freundes, des Kommissärs Madelin.
Nachforschungen – grob gerechnet – sechs Stunden. Angenommen, daß gewisse Erkundigungen erst morgen, nach der Öffnung der Büros, eingeholt werden können – dann wird die Antwort frühestens um zehn Uhr in Schwarzenstein sein. – Und im Polizeipräsidium zu Mannheim wird es ähnlich gehen…
»Was nennt Ihr beizeiten, Wachtmeister?« wiederholte der Pfarrer seine Frage.
»Sagen wir – um halb elf. Paßt Euch das? Gut! Verlangt nicht nach mir, sondern nach dem Anni – eh… – nach der Frau Rechsteiner. Die wird Euch sagen können, wo ich zu finden bin.«
»Und glaubt ihr, Wachtmeister, daß Ihr das alles…« (der Pfarrer beschrieb mit seiner kleinen Hand eine Kreis, der das ganze Dorf Schwarzenstein umfassen sollte), »… daß Ihr das alles werdet in den Senkel stellen können?«
»I gloube-n-es, Herr Pfarrer!«
Wenn sich in diesem Augenblick jemand eine spöttische Bemerkung oder einen billigen Witz über Pfaffen erlaubt hätte, so wäre er genötigt gewesen, die ganze Nacht seine Wange mit kalten Umschlägen zu behandeln. Pfarrer de Quervain war schon recht. Man sah es ihm an, daß ihm das Elend seiner Pfarrkinder zu Herzen ging. Und es zeugte von einem sonderbaren Vertrauen dieses Männchens, das Studer nur bis zur Schulter reichte und ein wenig lächerlich aussah mit seinem schwarzen, an die Kniekehlen wehenden Gehrock, es zeugte wirklich von einem großen Vertrauen, daß sich Pfarrer de Quervain widerspruchslos in die Anordnung des Wachtmeisters fügte, ohne nach ihrem Grund zu fragen und ohne sich Gedanken zu machen über die Folgen dieser Anordnung.
Die Behörde, die sich in den Gestalten eines Verhörrichters, eines Polizeichefs, etlicher Fahnder und eines Aktuars verkörpert hat, ist nicht allzu aufdringlich gewesen. Darum ist es dem Berner Fahnder gelungen, von den zwanzig Briefumschlägen, die er in einer Tasche des toten Jean Stieger gefunden hat, drei zurückzubehalten. Mit Wissen obgenannter Behörde. Der Wachtmeister hat nicht erzählt, was er mit diesen Umschlägen zu tun gedenkt – es hat ihn auch niemand danach gefragt…
Zwei Wolldecken sind mit einer Reihe solider Reißnägel am Fensterrahmen befestigt. Kein Lichtstrahl vermag von außen ins Zimmer zu dringen. Das Nachttischlämpli ist mit einem roten Papier umwickelt, aber das Zimmer ist so dunkel, daß man mindestens drei Minuten die Augen fest schließen muß, um nachher, wenn man sie wieder öffnet, etwas sehen zu können. Auf dem Tisch steht der Photographenapparat, weit ausgezogen, und vor ihm, in einen Kopierrahmen eingespannt, ein Briefumschlag – so zwar, daß die innere Seite der Enveloppe der Linse zugekehrt ist. Nun wird das rote Lämpchen gelöscht, die Finsternis im Zimmer ist zum Greifen dick. Ein Klicken: der Verschluß des Apparates ist offen. Ein Blitz: Magnesium. Nun brennt die rote Lampe wieder. Entwickeln, fixieren. Waschen der Platte mit reinem Alkohol. Albert, der Schwiegersohn, muß den Blasbalg bedienen, den die Jungfer Schätti, Köchin im Hotel ›zum Hirschen‹, dem Wachtmeister Jakob Studer ohne Widerrede zur Verfügung gestellt hat. Herrgott! Geht das lang, bis eine Platte trocken ist! Endlich! – Wieder erlischt das Rotlicht. In den Kopierrahmen wird die getrocknete Platte über eine überempfindliche neue gespannt. Diesmal flammt nur ein Streichholz auf, erlischt. Tastend in der zähen Finsternis werden die Platten ausgespannt, die untere entwickelt, verstärkt, fixiert. Schon während des
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