Kronhardt
groÃer Mann, so marschierten sie durch den Westteil, als wären sie nie woanders gewesen. Und Erhard Steiner war ein Mann, der sowohl seine Beziehungen pflegte als auch seine zurückgezogene Art.
So also rollte Konetzke in die Uckermark ein. Gepflegt, höflich und mit einer Ausstrahlung, die erst gar nicht an Teufelei oder Seelenverkauf denken lieÃ. Und neben ihm saà die Engelsche; streng zurechtgemacht, das Haar im Dutt, und obwohl sie ihre weiblichen Attribute kaum verbergen konnte, strahlte sie doch in erster Linie Sachlichkeit aus. Nichts erinnerte noch an die professionelle Bardame, ihr Händedruck war fest und kalt, ihr scharfer Atem roch nach Pastillen.
Die Russenhure war nie aus der Uckermark herausgekommen, und wie die meisten Einheimischen dort war sie im Grunde bodenständig. Der Rest des Landes war weit weg, und was in der Welt vorging, versickerte meist, bevor es diese Winkel erreichen konnte. Die Menschen waren genügsam; sie arbeiteten in den Wäldern und auf den Seen, und die wilde Schönheit der Mark trieb ihnen ein Heimatgefühl ein. Doch als die eingefleischten Strukturen sich ringsherum auflösten, verwandelte sich ihre innere Ruhe. Fremde fielen ein, brachten ihre Haken in die Seelen und rissen alles Heimatgefühl heraus. Die Fremden installierten ihre Religion, und was der sozialistische Apparat in diesem Winkel nicht vermocht hatte, erfaÃte die Einheimischen nun mit voller Wucht â sie entwickelten MiÃtrauen untereinander und Gier. Und in dieser Phase rollten Konetzke und die Engelsche mit dem Benz ein. Sie stellten sich mit Titel, Bundesadler und so weiter vor und erbaten einzig fünf Minuten, um die Mitbürger Ost über ihre neuen Rechte West aufzuklären. Sie wollten nicht reinkommen, keinen Kaffee, nichts. Sie erschienen selbstlos den neuen Mitbürgern verpflichtet, beinah fleischgewordenes Gesetz, und daà sie von Staats wegen unterwegs waren, Eigentum zu verschaffen â Wälder, Schlösser und so weiter â, erwähnten sie höchstens in einem Nebensatz. Dann verabschiedeten sie sich höflich und kehrten nach wenigen Tagen wieder zurück.
Als der Benz auf das heruntergekommene Familiengut bog und Konetzke und die Engelsche im Gesindehaus auftraten, wurde die Russenhure nervös. Obwohl sie selber gerne erwähnte, daà sie in ihrem Leben in viele Töpfe geschaut hätte, verbrachte sie nach dem Kurzbesuch schlaflose Nächte. Sie wuÃte nicht, wo von Wrangel oder ihre Zwillinge waren, und sie wuÃte nicht, ob sie etwas falsch machte, wenn sie sich strikt an von Wrangels Befehl hielt und sich auf nichts einlieà und niemandem etwas zeigte. Sie hatte Visionen von dem alten Familiengut entwickelt, sie hatte Angst, daà durch ihre Schuld alle Ansprüche auf Rückführung verwirken könnten. Und zugleich hatte sie Angst, gegen von Wrangels Befehle zu verstoÃen. In einer Nacht wagte sie dann, seine Schatullen hervorzuholen. Sie wuÃte, wo er die Schlüssel verwahrte, und bei Durchsicht der Papiere war sie so aufgeregt, daà sie kaum etwas verstand. Das meiste schien wissenschaftlich, und auch die Rechte um Eigentum muÃten wissenschaftlich sein.
Als Konetzke und die Engelsche das zweite Mal ans Gesindehaus klopften, hatte sie die Schatullen längst wieder versteckt und war zu dem Schluà gekommen, sich auf nichts einzulassen und niemandem etwas zu zeigen. Doch sie wagte nicht, die beiden Besucher bereits an der Tür abzuweisen. Sie bereitete Kaffee und reichte Spritzgebäck, und sie war stolz, als Konetzke und die Engelsche Nippes und Ansichtskarten bemerkten. So saÃen sie eine Viertelstunde, dann piepte es. Und die Russenhure sah zum ersten Mal ein mobiles Telefon, ein beeindruckend schweres Gerät mit Stummelantenne. Ein Herr Minister schien am Apparat, die Besitzverhältnisse für ein Schloà im Mecklenburgischen schienen geklärt, und nach dem Gespräch machte Konetzke der Russenhure gegenüber eine entschuldigende Geste und drängte zur Arbeit. Er ging zu seiner Limousine und kam mit schwerer Apparatur zurück; Computer und Bildschirm, wie er sagte, und dann schloà er die Geräte an, und die Russenhure war sprachlos. Wie aus einer Zauberwelt erschienen ihr die Bilder; der hünenhafte Kanzler mit dem Birnenkopf, die seltsam nackte Flagge und dann der Bundesadler. Wie Hoffnung stand diese Insignie des Klassenfeinds mit einem Mal, und dahinter holte
Weitere Kostenlose Bücher