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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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trug das Trauma der amerikanischen Urwunde in sich, nichtwahr: Gettysburg und Little Bighorn, Pearl Harbor und Vietnam brennen sich immer wieder neu in die Nation und schüren die Angst, nochmals geschlagen und von Gott verlassen zu sein. Dazu die gottlosen Kommunisten, und so saß Reagan im ovalen Büro, und auf einem großen Bildschirm liefen die neuesten Bilder der Trickfilmindustrie und die seiner Intelligenzagenturen. So telefonierte Reagan mit NASA oder Militär und gab schließlich Order zum Sternenkrieg.
    Womöglich war dieser Aufruf in die Welt strategisch gewählt; Breschnews Außenpolitik war weiterhin durch Afghanistan gelähmt, und noch die einfachste Sache der Welt, nichtwahr, mal eben zackzack nach Polen zu langen, war angesichts dieser Lähmung kaum durchführbar. Und so mußten dem mächtigen alten Mann diese Schimären aus der Trickfilmindustrie noch extra zusetzen; reale Marschflugkörper und die Bodenständigkeit einer atomaren Bedrohung verschmierten plötzlich im Sternenhimmel, und Breschnews Falten zwischen Nase und Mund vertieften sich. Bis die Welt dann erfuhr, daß er gestorben war.
    Die Trauer der Russen verwandelte sich bald in ein Trauma. Wie die Amerikaner von Gott wurden sie nun von einem Oberhaupt nach dem anderen verlassen, und nach dem Begräbnis des Nachfolgers von Breschnews Nachfolger hatte die für Mysterien empfängliche Russenseele ihr Brandmal. Und als dann der Mann mit dem Fleck auf der Stirn erschien, mußte er wie eine verklärte Gestalt aus einem Dostojewski-Roman erscheinen. Mit der Fähigkeit, die zerrissenen Zustände ringsherum und noch die fanatischen Triebkräfte eines Sternenkriegs zu zäumen, um mit seherischer Kraft das alte Mütterchen wieder aufzurichten. Und der Fleck auf der Stirn war nichts anderes als ein Mal von überwältigender Größe, war die Fleischwerdung einer dostojewskischen Weltüberwindung, und so erschien Gorbatschow der Russenseele.
    Auf der Weltbühne ging man abgeklärter an diesen Mann und erwartete, wie von jedem Russen, das ganze Spektrum slawischer Gerissenheit. Und als kaum darauf Tschernobyl in die Luft flog, erschien dies wie ein Fanfarenstoß; ein unheimliches Signal zur Wiederherstellung der gewohnten Ordnung, und eine Bestätigung aller russischen Fähigkeit zur Hinterlist. Doch Gorbatschow verhielt sich, wie niemand es erwartete: Er offenbarte menschliches Versagen und holte den unfehlbaren Sowjetmenschen von seinem Sockel. Und dann breitete er vor der Welt die Arme aus und lächelte milde. Ein Lächeln, das aus der andauernden Kälte heraus unmöglich erschien und das die eingefleischten Krieger in Alarmstufe versetzte. Um so mehr, als Gorbatschow der Welt die Worte Glasnost und Perestroika erklärte und innerhalb kürzester Zeit die alte Polarisation durcheinanderbrachte. Er reiste nach Danzig und drückte den Solidarno´s´c-Männern die Hand, er umarmte Reagan, und dann fädelte er den sowjetischen Rückzug aus Afghanistan ein. So trieb Gorbatschow den Umbau voran, so lächelte er in die Kameras und sprengte die Bilder vom hartgesottenen Sowjetmenschen. So präsentierte er die Frau an seiner Seite, tanzte mit ihr und brachte Menschlichkeit aufs Podium der Weltpolitik.
    Von Wrangel sah hinter den Schlagwörtern von Umbau und Offenheit auf Anhieb die Gefahr zur Aushöhlung. Noch in seiner letzten Rede vor dem Kombinat warnte er vor einer Unterwanderung durch die vom Kapital getriebenen Fundamentalisten, für die das Gute in der Welt vor allem darin bestehe, ihre Gegner zu vernichten.
    Wenn Politik und Wirtschaft nach internationalen Maßstäben umgebaut würden, wenn alle Willensbildungsprozesse der Partei erst durch Medien und Volk gingen, meinte er, öffne man sich einer Destabilisierung von innen. Die Kapitalisten würden mit subtilen Methoden Chaos unter den Sowjetvölkern inszenieren; würden Fragen nach Autonomie oder eigenständiger Nationalität aufwerfen und revolutionäre Bestrebungen in jeder Weise unterstützen. Sie würden sich elementare Wirtschaftsbereiche einverleiben und mit ihrer Bewußtseinsindustrie zuletzt die Identität des einzelnen und alle Kollektivkraft zersetzen.
    Doch gegen Gorbatschows milde Erscheinung, gegen die visionäre Kraft, die sich aus seinen Worten entfaltete, konnte auch ein alter Demagoge wie von Wrangel nichts ausrichten. Gorbatschows Ideen

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