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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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schlugen ihr verwachsenes Haar mit einer Kopfbewegung aus den Augen, und sie waren nicht wegen ihrer Herkunft auf dem Alten Gymnasium. Und natürlich kriegten sie das zu hören, und vor allem Achim legte sich gerne mit den Clubjacken an – diese dreckigen Geldsäcke, sagte er.
    Achim wirkte älter, als er war. Ein starkknochiger Bursche, ein bißchen verwildert und mit animalischen Zügen. Auch Harald schien älter und markierte den Proleten. Doch er war besonnener, und beide schienen sie nichts gegen Willem zu haben. Sie kopierten die Hausaufgaben, und wenn sie Willem das Heft zurückgaben, warfen sie die Köpfe zurück und stießen mit dem Kinn in seine Richtung. Kronhardt, sagten sie. Aus dir soll einer schlau werden.
    Keine Chance.
    Und dann lachten sie alle drei, redeten über Werder oder Onassis, und manchmal fing Achim an, ein bißchen zu sticheln. Fährt profanes Arbeiterrad, sagte er dann. Mußt du mir echt erklären, Kronhardt. Einer wie du, der könnt doch leicht bei den Säcken mitmischen. Was is los, Alter – hast du keine Eier? Kuck dir doch nur mal dieses Miststück da drüben an. Ne Schande, daß unsereins da nich rankommt. Aber einer wie du, Kronhardt – stell dir das mal vor: du und der Patrizia ihre dicken Dinger!
    Und so schlug es aus dem Uhrenturm, Werder würde Meister werden, die Malocher hämmerten im Akkord, und die Clubjacken hockten da, als wäre Onassis irgendein Vetter aus Athen.
    Willem hatte keine Ahnung, was Achim mit den dicken Dingern meinte. Patrizia war ein hübsches Mädchen, womöglich fraulich, doch sie verströmte nichts von jener Anziehung, die er während seiner Jagdgänge spüren konnte. Patrizia von Kattenesch, gute Noten, kupferblond, ein bißchen dünkelhaft. Mehr war Willem nicht aufgefallen. Von Kattenesch, der Name hinter der Silberwarenmanufaktur und ein Kunde der Stickerei. Mehr wußte er nicht.
    Irgendeiner von den Lehrern stand immer zwischen den Säulen und trieb die Schüler an, und bald stiegen ihre Stimmen auf bis unter die gewölbten Decken, wurden von den Treppen in die Geschosse getragen, zogen dort durch die langen Gänge, und sobald die Klassentüren geschlossen waren, sickerte Stille aus den Mauern. Es war eine Stille, die nun jeden Gang erfaßte und jeden Schritt offenbarte; Stille, die noch Ehrfurcht und Bestrafung in sich barg, und so schien das Alte Gymnasium ein Vakuum gegen den Zeitgeist.
    Natürlich waren die Schulgesetze liberaler geworden und Züchtigung nicht mehr selbstverständlich. Doch Überzeugung und Erziehungsmethoden der Lehrer blieben eng mit der Architektur des Hauses verbunden, und sie entwickelten ein Händchen für die Arten ihrer Zöglinge. Auch für die Eltern und ihre zumeist tiefverwurzelten Ansichten entwickelten sie ein Händchen; die Maßstäbe am Alten Gymnasium waren elitär angesetzt, gute Noten eng an Lernen und Disziplin gekoppelt, und die Lehrer waren sich auch einig, das Dritte Reich abstrakt zu behandeln. Und so blieben sie in ihrer hausgemachten Einigkeit unantastbar, die Ansprüche der Eltern wurden von ihrer Seite erfüllt, und wer es auf dem Alten Gymnasium nicht schaffte, wurde aussortiert.
    Auch der Lateinlehrer wußte natürlich, daß gelungene Prüfungen nicht hokuspokus aus den Anekdoten entsprangen, und wenn eine Klasse den Anforderungen hinterherhinkte, ließ er büffeln – ein Mischwesen, dieser Lehrer, wie gesagt, wobei die Geschichte eindeutig stärker ausgeprägt war, und da war es dann nicht verwunderlich, wenn er sich auch mit Despotie und Tyrannis auskannte.
    Achim und Harald wußten, daß sie nur aus politischer Berechnung aufs Alte Gymnasium gekommen waren. Sie waren Proleten, ihre Väter hatten ein Parteibuch, und die Sozis mußten Kinder ihrer Basisgenossen präsentieren. Dennoch hielten sie mühelos mit dem bildungsbürgerlichen Durchschnitt mit, beide waren gute Schüler, aber sie grenzten sich eindeutig aus. Die meisten ihrer Altersgenossen erschienen unterentwickelt gegen das generationenalte Arbeitererbe, und vor allem Achim steigerte sich gerne in seinen Zynismus gegen die Clubjacken. Daß Willem diesen Zynismus parierte und in seiner Art noch verfeinern konnte, gefiel den beiden. Auch wenn sie nicht schlau aus ihm wurden.
    Zum Beispiel die Insektenstaaten, sagte Willem einmal und erzählte von der seltsamen Überordnung, die sich

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