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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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mit dem Schatten der Bronzeskulptur, dann stand ihr Profil gegen die in Form gestutzten Buchsbaumreihen. So ging sie an Willem vorbei, ohne ihn zu beachten. Und er, ohne zu überlegen, folgte ihr.
    Es war wie ein Reflex, und zuerst nahm er wahr, daß ihr Geruch tief in ihn drang. Dann spürte er die Angst, ertappt zu werden, doch jenseits dieser Angst erschien der Reflex wie festgeschaltet, und er blieb auf ihrer Spur.
    Für Willem war es eine völlig neue Erfahrung; eine seltsame Kraft, die seine Sinne schärfte und ihn in eine Welt zog, die er nicht kannte. Bald spürte er, wie es in seinem Kopf spritzte und wie alle Angst sich in Konzentration verwandelte; wie die Gestalt der Frau zu einer Fährte wurde und er selbst zum Jäger. So näherte er sich der Frau wie unsichtbar und ließ ihren Geruch in sich strömen; so ließ er sie laufen, ahnte ihre Wege voraus und kam ihr entgegen, ohne daß sie es bemerkte. Zuletzt ließ er sie in einem Kaffeehaus, und als er wieder auf seinem Fahrrad saß, hatte er das Gefühl, etwas ganz Neues in sich entdeckt zu haben. Oder etwas Uraltes.
    Diese erste Erfahrung wirkte nach, und Willem mußte feststellen, daß schon die Erinnerung daran einen Reiz auslösen konnte. Das Spritzen hinter den Schläfen, die Verfeinerung der Sinne, und so stieg er bald auf neue Fährten; ließ sich von einer Duftspur leiten oder von den geheimnisvollen Schwingungen, die er hinter Gestalt oder Eigenschaft einer Frau wahrnehmen konnte. Er beobachtete sie wie aus einem Dickicht heraus; sie aßen eine Bratwurst, sie strafften ihr Kostüm, und hinter ihrer maßgeschneiderten Moral legte Willem eine Weiblichkeit frei, wie er sie in den Anatomiebüchern von Doktor Blask gesehen hatte. Und dann verzerrten sich auch ihre Gesichter zu jener maßlosen Gier, die der Doktor ihm schenkelklopfend beschrieben hatte, und so blieb er ihnen auf der Spur. Frauen mit Kopftuch oder Turmfrisur, Frauen in Rock oder knallenger Nietenhose. Und Willem ging noch weiter, stellte sich ihre Kommoden vor, die Zerstäuber dort und Flakons, und bald erkannte er in den Straßen die Nuancen von Lidschatten oder Nagellack, bald spürte er jederzeit Geheimnisse in der namenlosen Masse auf, eine wunderbare Einzigartigkeit und intime Augenblicke der Verschmelzung von Jäger und Opfer. Er kam Regelmäßigkeiten auf die Spur und markierte die Muster in Zeit und Ort; manche Frauen erwartete er mit der Unsichtbarkeit des Spezialisten, saß bereits in der Straßenbahn oder im Kaffeehaus, und bald versuchte er sie mit geisterhafter Fernwirkung zu locken – oder besser: die Bedingungen zu verkehren und den ahnungslosen Jäger zur Beute dieser wissenden Frauen zu machen.
    So entwickelte Willem seine Jagdbilder, doch zuletzt konnte er hinter diesem neuartigen Antrieb immer wieder Hilflosigkeit spüren und seltsame Scham, die sich beide nicht abschütteln ließen. Noch wenn er mit dem Fahrrad gegen das Teufelsmoor fuhr und rings die Welt endlos und menschenleer erschien, konnte es unverhofft hinter den Schläfen spritzen. Und wie Erscheinungen tauchten dann die Frauen auf, ihr Geruch, ihre Gestalt, und so zog er hilflos und voller Scham gegen den Horizont.
    Er wußte nicht, was da in ihm vorging, und entschied, sich das fehlende Wissen selbst beizubringen. So ging er in die Bibliothek, verbrachte einen ganzen Nachmittag dort und kam dem Phänomen auf die Spur. Zwar vermieden die Fachbücher kategorisch direkte Aussagen und erschöpften sich in den trockenen Wechselwirkungen von Disziplinen und Begriffen, doch zwischen den Zeilen konnte er ahnen, daß er ganz normal entwickelt und veranlagt war. Geruch, Gestalt oder Eigenschaften waren nicht nur Auslöser und tiefes Erbe, sondern machten sie alle hilflos. Zumal wenn die Drüsen funktionsfähig wurden und feuerten.
    Willem nahm diese neuen Erfahrungen hin und lernte bald, gegen das maßlose Feuern aus den Drüsen anzusteuern. Er stellte fest, daß auch bestimmte Bücher einen ähnlichen Sog entwickeln konnten wie die Spuren der Frauen, und so entdeckte er die Abenteuerromane für sich, Don Quijote und Candide, aber auch Moby Dick und den Seewolf. Und wenn er mit dem Rad unterwegs war, genoß er das kentaurenhafte Gefühl und stellte fest, daß vor allem die Überlandfahrten ihm guttaten; daß er sich wie Juri Gagarin fühlen konnte, allein in einer Kapsel, während rings die

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