Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E
Bálint Balassa war zwar verheiratet, schrieb aber auch Liebesgedichte an andere Frauen – obwohl ihn die Liebe zu Anna Losonczy von Anfang an und sozusagen sein ganzes Leben hindurch begleitete –, und diese anderen waren keineswegs immer gesellschaftlich hochgestellte Damen; mit seinen Liebesgedichten huldigte er auch einer polnischen Zitherspielerin und leichten Wiener Mädchen, und es ist nicht einmal sicher, dass Julia, der er seine schönsten Gedichte gewidmet hat, tatsächlich mit Anna Losonczy identisch war. Sándor Kisfaludy, der von seinen verschiedenen österreichischen Standorten aus laufend ›Himfys Leiden‹ an Rosa Szegedy nach Hause sandte, hatte überall und immerfort Liebesaffären mit Gräfinnen und Tänzerinnen, denn es zog ihn nun mal zum weiblichen Geschlecht, und die Leidenschaft war wohl stets gegenseitig. Allein der arme Csokonai zerbrach an der Treulosigkeit seiner Lilla, doch gehörte er auch schon einer anderen, aufrichtigeren Richtung an. Wichtigstes Merkmal der Petrarca-Tradition ist, dass die unerfüllte Liebe für den Dichter nicht eigene Empfindung, sondern sein Thema ist, wie der Frühling oder der Krieg.
Doch wenn sie selbst es nicht so empfanden, warum haben sie dann gerade dieses Thema gewählt, jahrhundertelang?
Die unerfüllte Liebe ist natürlich viel poetischer, für lyrische Ergüsse geeigneter als eine glückliche, erfüllte Liebe. Sie inspiriert den Dichter viel eindringlicher: Denn nichts nährt seine Fantasie mehr als die Sehnsucht, sein Verlangen, und der Mann sehnt sich nun mal nicht nach der, die er sowieso an seiner Seite hat, sondern nach einer Liebsten, die weit oder gar unerreichbar fern von ihm ist.
Und auch die Macht der Tradition ist in Betracht zu ziehen. Die Dichter besangen stets die aussichtslose Liebe, weil auch ihre Vorgänger diese schon besungen haben, weil sie wussten, dass unerfüllte Liebe ein lyrisches Thema und eine dem Poeten angemessene Empfindung ist. Die Macht der dichterischen Tradition ist unermesslich – es bedurfte weitgehender gesellschaftlicher und weltanschaulicher Veränderungen, um sie ins Wanken zu bringen.
Zu solchen Umbrüchen kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts: der Zusammenbruch der feudalen Gesellschaft, das positivistische Weltbild, die Entwicklung der Naturwissenschaften, die industrielle Revolution, der Freiheitsgedanke und tausend andere Ereignisse; es bedurfte dieses massiven Frontalangriffs, um die Dichter von Petrarca abzubringen. Der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Realismus brachte den Alltag der Menschen und die Lyrik einander näher.
In unserer ungarischen Literatur steht der Name Sándor Petőfi für diese revolutionäre Erneuerung. Er war es, der mit der Tradition brach und in seiner Lyrik zum Ausdruck brachte, was er selbst fühlte und nicht seine literarischen Vorfahren oder Petrarca. Er holte die hehre Dame vom Sockel auf den Boden des »blonden Mädchens«, der »Brünetten«, er besang gespielte und echte Liebeserlebnisse, nicht nur die ferne Schöne, sondern auch die unmittelbare Wirklichkeit. Petőfis Genie gelang etwas, das sonst nur wenigen der Weltliteratur gelungen ist: Er hat wunderschöne Liebesgedichte an die eigene Frau geschrieben. Dies bedeutete das endgültige Ende der Petrarca-Tradition, mit ihm beginnt die Epoche einer neuen Lyrik.
(1937)
Die Krankheit des Jahrhunderts
Mal du siècle
, also die Krankheit des Jahrhunderts, war ein Leiden, das wir heute gar nicht mehr verstehen, so weit liegt dieses 19. Jahrhundert nun schon zurück. Nichts ist so überholt wie das, was gestern war; das griechische Altertum erscheint uns keineswegs altmodisch, wohl aber die Zeit unserer Großväter.
Die Krankheit des Jahrhunderts wurde auch »Weltschmerz« genannt. Man leidet Schmerz an der Welt; es tut weh, dass sie ist, wie sie ist, und nicht so, wie die Dichter sie sich erträumt haben; dass das Leben eine Kette kleiner grauer Wirklichkeiten ist und nicht nur aus edlen, erhabenen Empfindungen besteht.
Haupturheber und Inbegriff der Epoche des Weltschmerzes war der große englische Dichter Lord Byron. Viele, viele Jahrzehnte waren die Menschen fasziniert von Byron: István Graf Széchenyi begann sein Tagebuch zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Byron-Zitaten, und Königin Elisabeth von Ungarn, vulgo Sisi, streute in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch immer Byron-Gedichte in ihr Tagebuch ein. Macaulay hat geschrieben, dass alle Feen an Byrons Wiege geladen waren, bis auf eine. Die
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