Kruzifix
Kriminaler von der Kemptener Polizei, der im Pfarrgemeinderat sitzt. Da gibt’s doch sicher einen.«
»Sie müssen keinem Vorgesetzten berichten. Sie müssen nur mir berichten.«
»Und wenn ich an die Zeitung geh? Ich schreib ganz gern.«
»Das Kemptener Tagblatt wird nichts von Ihnen drucken. Für die Süddeutsche sind Sie nicht gut genug.«
Danke!
War er Hellseher? Wusste er, dass die SZ schon ein paar Manuskripte von mir zurückgeschickt hatte? Wahrscheinlich ungelesen. Hoffte ich.
»Aber warum wird das Kemptener Tagblatt nichts …«
»Wir sind uns – sagen wir – im Glauben verbunden.«
»Im Glauben ans Geld?«
»Sagen wir so: Ohne die Kirche täte sich das Kemptener Tagblatt etwas schwer …«
»Aber wenn sich da eine scharfe Geschichte ergibt? Priester erhängt sich wegen Kindesmissbrauchs … An die Bunte. Bild. Superillu. Spiegel. Focus.«
»Dr. Bär, Sie sind schweigsam.«
»Wieso?«
»Weil Sie nicht blöd sind. Ich habe Ihre Bücher gelesen. Sie werden bei uns viel gelesen. Wenn auch nicht offiziell empfohlen. Besonders Ihr Seelsorge-Buch.«
»Warum nicht empfohlen? Tät der Auflage ganz gut.«
»Ihre Sprache ist … hm … auf der mehr populären Seite von akademisch.«
»Zu versaut.«
»Eben! Stellenweise vulgär. Aber Sie können mit den Leuten hier reden. Mit den ordinären Lackeln. Aber auch mit den Frauen.«
»Wie kommen Sie denn da drauf?«
»Sie haben eine Ader für das schönere Geschlecht. Und Sie sind ein zutiefst menschlicher Seelsorger. Sie fahren oft zu Ihrer Mutter ins Pflegeheim nach Augsburg. Nach Ostheim bei Augsburg genauer. Das Marien-Heim. Ausgezeichnete Wahl!«
»Hoppla, jetzt schlagt’s dreizehn! Haben Sie mir nachspioniert?«
»Manche Informationen drängen sich einfach auf … Sie sind ziemlich oft in Augsburg. Seit ein paar Jahren. Seit Ihre Mutter im Pflegeheim ist.«
»Ja, ich besuche sie halt. Ich hoff, dass sie mitkriegt, dass ich es bin.«
»Ihr einziger Sohn.«
»Ja, das ist ja die Scheiße. Eine Schwester wenn ich hätt, das wär jetzt praktisch!«
»Und Sie überlasten Ihre Frau Mutter ja auch nicht mit Ihren Besuchen.«
Er wusste, wie er mich kriegte. Ein Fuchs, der Kerl. »Ihre Frau Mutter«. Das hatte Stil. Respekt. Form. Anders als die Sozialtussis von den Kliniken und Versicherungen und Sparkassen. »Hallo, Herr Bär, es geht um Ihre Mama .« Blöde Fotze.
Er fuhr fort:
»Sie dosieren Ihre Besuche sehr taktvoll. Außerdem haben Sie in Augsburg noch alte Freunde, oder zumindest eine alte Freundin – ich meine damit nicht ihr Kalenderalter. Wir sind da auf einen hübschen Zufall gestoßen. Jedes Mal, wenn Sie Ihre Frau Mutter besuchen, treffen Sie zufällig auch mit einer jüngeren Frau zusammen. So um die vierzig … Für unsere Generation ist vierzig ja durchaus noch jung … Sie treffen sie. Wie im Evangelium des Johannes. Kapitel drei. Der alte Nikodemus trifft Jesus. In der Nacht. Heimlich.«
Von wegen. Ich und alt. Trotzig sagte ich:
»Der Geist weht, wo er will …«
» Und wir hören sein Sausen wohl … Und wie es der Zufall will, noch so ein netter Zufall, besuchen Sie Ihre Frau Mutter immer dann, wenn der Ehemann dieser Frau auf einer Konferenz oder auf Dienstreise ist. Jedenfalls nicht in Augsburg. Und wie ich sagte, Sie sind doch nicht blöd. Sie werden doch das Familienglück mit den drei Kindern Ihrer Geliebten nicht aufs Spiel setzen. Zwei so liebe Kinder, das Mädchen vier, der Bub sechs, und dann noch ein Nachzügler, ein ganz liebes Mädchen …«
Er schaute mich von der Seite an.
»Sieht Ihnen sogar ein wenig gleich …«
Er lächelte süffisant.
Ich hasse süffisant.
Mein Vater lächelte immer süffisant. Kam sich idiotisch überlegen vor.
Ich hätte ihn dafür umbringen können. Hat sich erübrigt. Schon lange tot.
Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn.
Ich trank aus der Bierflasche. Verschluckte mich. Hustete.
Rössle palaverte im Unterhaltungston weiter:
»… und der Vater dieser lieben Kinder ist Präsident der Polizeiinspektion Augsburg. Eine Familie zum Vorzeigen. Es gibt nicht mehr viele davon. Die Frau, da verrate ich Ihnen ja wohl kein Geheimnis, ist Vorsitzende der Stiftung ›Sonnenschein‹ für krebskranke Kinder. So eine Bilderbuchfamilie zerstört man nicht. Sie nicht. Sie sind nicht blöd. Man sägt nicht den Ast ab, auf dem man sitzt. Deshalb kann ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen.«
»Jetzt langt’s mir, Sie … Sie … Ich zerbrech gleich die Flasche und
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