Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
Vom Netzwerk:
in Augsburg. Auf dem Asphaltweg. Hinter mir. Röhrt näher. Wird nicht langsamer, wird schneller. Es dröhnt wie drei Müllautos. Dreihundert PS . Eine von den Landmaschinen zum Nachtmähen. Sie wird mich ummähen.
    Es wird eng.
    Hinter mir das Dreihundert- PS -Höllending.
    Der gestirnte Himmel über mir.
    Das moralische Gesetz in mir: Lauf!
    Der Drahtzaun von der Kuhweide neben mir.
    Ich renne.
    Dreihundert PS sind schneller als ich.
    Es röhrt heran. Eine breite Maschine. Das Sichelmähwerk am Heck ausgefahren. Metallisches Sch-sch-sch mit einem Puls von hundertachtzig.
    Es braucht die ganze enge Straße. Kein Hase kommt da dran vorbei.
    Ich bin ein Hase.
    Kein Haar hat da mehr Platz.
    Ich bin ein Haar.
    Der gigantische Rasierapparat sch-sch-scht hinter mir.
    Ich stürze mich mit einem Hechtsprung über den Stacheldrahtzaun.
    Gerettet!
    Die Monstermähmaschine verschwindet. Ich erahne eine Gestalt am Steuer, von hinten, die langen Haare heben sich wie wehende Schatten gegen das Scheinwerferlicht ab. Der Teufel!
    Ich liege im Gras. Es ist feucht vom Tau. Weich. Soft. Liege wie das Kind in der Krippe. Hoffentlich schlafen die Kühe. Ich mag Kühe, aber nur mit Zaun dazwischen.
    Der wollte mich umbringen!
    Ich kotze ins Gras.
    Vier Biere und vier Schnäpse. Schad drum. Zum Glück hab ich nichts gegessen.
    Das Gras ist weich. Ich bin gut gefallen. Zum zweiten Mal heute Abend. Wird es ein drittes Mal geben?
    Mein Ohr fängt an zu toben. Ich lange hin. Spüre was Warmes. Schweiß. Nein. Schweiß sprudelt nicht so. Es pappt. Im fahlen Mondlicht sehe ich, dass das Nasse an meinen Fingern dunkel ist. Blut. Schlecke an meinem Finger. Tatsächlich. Schmeckt nach Blut.
    Ich muss mich beim Sprung über den Stacheldrahtzaun aufgerissen haben. Der Hemdkragen ist tropfnass. Nicht vom Schweiß.
    Ich rapple mich auf.
    Das Dreihundert- PS -Monster hat mich an der Stelle erwischt, wo der Weg zur Alm am steilsten und engsten ist. Damit ich nicht auskomm. Ich hab noch fünfhundert Meter bis zu meiner Alm. Das Ungeheuer dröhnt irgendwo in den sanften Hängen davon.
    War der Fahrer der Gleiche wie der Kerl in der Kirche, der die Leiter unter mir weggestoßen hat?
    Ich erschrecke über das, was ich im Spiegel sehe. Ein Gespenst schaut mich an. Aschfahl. Schmerzverzerrt. Auf der rechten Seite Blut. Nein, auf der linken. Nein … ist auch egal, mit dem Scheißspiegel, spiegelverkehrt oder nicht … man sieht sich im Spiegel immer spiegelverkehrt, rechts ist links und links ist rechts, eine verkehrte Welt, jedenfalls ist es verkehrt, dass ich nachts um zehn blutig vorm Spiegel stehe. Vom Ohr strömt es immer noch auf die Schulter. Die rechte. Im Spiegel die linke. Ich blute wie ein Schwein.
    Das Ohr ist angerissen.
    Der Schmerz im Riss macht mich halb wahnsinnig.
    Wenn ein rostiges Teil die Wunde aufgerissen hat … Infektion … Wundstarrkrampf … Tetanus.
    Wann bin ich zuletzt geimpft worden?
    Bin ich überhaupt geimpft worden?
    Ja. In der Schule. Wie jeder.
    Aber das wirkt nicht mehr. Ein paar Jahre her.
    So wenig wie die vier Biere und die vier Schnäpse wirken. Sind völlig weg. Verdunstet. Verblutet. Verkotzt.
    Ich hab eine grandiose Idee.
    Ich fahr nach Kempten. Klinik. Unfallambulanz.
    Anschauen lassen.
    Nähen lassen.
    Impfen lassen.
    Wenn es Tag wäre, wäre mir das alles wurscht.
    Jetzt ist es Nacht. Ich will nicht hierbleiben. In der Ferne röhrt noch der Mähmaschinen-Mörder. Übt wohl für die nächste Runde.
    Ich habe Angst.
    Ich will raus hier.
    Ich werf mir das Handtuch um den Hals, hau die Tür zu, sperr ab, setz mich in meinen Golf und jage den Berg runter, dass die Reifen quietschen, Richtung Kempten.
    Action. Anspannung. Autoralley.
    Alles ist besser als Angst.
    Der Himmel über Kempten hat immer noch einen letzten hellen Widerschein.
    Kempten. Klinik.
    Zurück in der Klinik.
    Klinik ist gleich Sicherheit.

Nicht am Arsch vorbei
    Alle Krankenhäuser sind gleich. Deshalb geben sie Sicherheit.
    Wie Kathedralen.
    Wie McDonald’s.
    Ich war noch nie im Klinikum Kempten.
    Trotzdem fand ich die Unfallambulanz ohne zu fragen.
    Todsicher.
    Wie damals in Rom. Bion-Kongress im Angelicum. Ich ging am Tiber entlang. Ein dreckiges Rinnsal. Mein Bauch revoltierte, etwas war im Mittagessen, was mich nicht wollte.
    Ich dachte, mich zerreißt’s.
    Ein Königreich für ein Klo. In Rom.
    Ich las »Ospedale«. Hospital.
    Die Rettung.
    Es lag gleich ein paar Straßen vom Vatikan weg und den Negern, die dort Zeug verkaufen.
    Vatikan regt

Weitere Kostenlose Bücher