Kruzifix
dass Sie gern was schreiben möchten. Besinnliches oder Lokales oder lokal Besinnliches …«
Ich sagte:
»Letztens habt ihr doch von einem sechzigjährigen Priesterjubiläum berichtet. Sehr positiv. Wie ist eigentlich die Geschichte mit dem Pfarrer von Tal weitergegangen? Da könnt ich vielleicht ein paar Nachgedanken dazu liefern.«
Eine scharfe Falte zog sich zwischen seine Augenbrauen, seine Aura schrumpfte wie ein Luftballon, aus dem die Luft schnurrt. Allerdings ohne Ton.
»Da gibt’s nichts weiter zu berichten.«
»Woher wissen Sie das?«
»Alles, was es zu berichten gibt, haben wir geschrieben.«
»Dass er an Herzversagen gestorben ist.«
»Ja. Das langt.«
»Und ein Nachruf …«
»Da gibt’s nichts nachzurufen. Er war nur drei Jahr in Tal, keine sechzig.«
Es war eine Basta-Ansage. Warum musste er so mauern? Warum fragte er nicht, was ich schreiben würde. Stattdessen traktierte er mich mit Freundlichkeitsattacken.
»Haben Sie nicht gesagt, Sie haben so eine Art ›Wort zum Sonntag‹? So allgemein. Oder war da nicht etwas von der … ah … der Kapelle?«
»Der Benedikt von Tal mit seiner Bruder-Klaus-Kapelle und der Mutter Gottes von Medjugorje.«
»Ja, das wär doch interessant!«
»So, so, so hat sich das öffentliche Interesse geändert seit voriger Woche.«
Er ignorierte meinen Seitenhieb und meinte:
»Können S’ mir den Benedikt-Text mailen? Wie lang ist er? … Zehn A4-Seiten? Da machen wir eine Fortsetzungsgeschichte draus. Und dann sind da ja noch ein paar Dutzend Kapellen in der Gegend …«
Ich ergänzte:
»Binzen, Gereute, Oberelleg, Brosiselleg, Buchenberg, Kalchenbach, Wertach, Vorderschneid, Haag, Moosbach, und, ach ja, in Holz, da hängt der Strick zum Glockenläuten direkt von der Decke herunter, wie ein Galgenstrick.«
Er ignorierte den Galgenstrick. Stattdessen, ganz begeistert:
»Das langt für ein Jahr! Zu jeder Kapelle eine interessante Geschichte …«
Ich dachte: Interessant oder wahr?
Er:
»Sie können doch schreiben!«
»Woher wissen Sie das?«
»Ihr Werk über die Seelsorge …«
»Hoi! Woher kennen Sie denn das?«
Er hustete.
»Google. Heutzutag kann man doch alles googeln.«
Ich begriff allmählich, dass er von mir alles Mögliche haben wollte an Geschriebenem, nur nichts über Theodor Amadagio.
Wir vereinbarten, dass ich ihm meinen Benedikt-Report schicken würde und ein Paar Sonntagswörter dazu.
Seine Aura geriet wieder in Ordnung.
Woher kam dieser Wetterwandel nur?
Johanna weint
Gegen Abend war ich wieder zurück. Als ich die letzte Kurve vor der Alm genommen hatte, sah ich jemanden dort stehen. Warten.
Johanna.
Noch bevor ich aus meinem Golf gestiegen war, fragte sie:
»Wie geht’s ihm? Was hat er gesagt?«
»Schlecht geht’s ihm. Und was er gesagt hat, kann ich nicht sagen. Beichtgeheimnis.«
»Oh!!! Dann wissen Sie …?«
»Johanna, ich darf nichts sagen.«
»Zu niemand?«
»Das ist ja der Sinn vom Beichtgeheimnis. Aber ich darf Sie was fragen.«
»Was?«
»Johanna, neulich am Sonntagabend, da war doch einer in der Kirche. Der Kiebitz. Der Depp. Erinnern Sie sich?
»Ja … ja … Weil ich mich geärgert hab, dass der Adolf noch mal raus ist, wie wir miteinander Fernsehen geschaut haben.«
»Der Kiebitz, der Depp, das war ich. Wir haben ja ganz kurz Grüß Gott zueinander gesagt, als Sie in der Tür standen. Ich hab mit der Leiter was ausprobiert. Und dann hat mir jemand die Leiter weggestoßen. Ich hätt tot sein können. Können Sie sich vorstellen, dass der Adolf mir die Leiter unter den Füßen weggestoßen hat?«
»Er war zwar schon schwach, er war ja schon so krank, aber dafür hätte er vielleicht immer noch die Kraft gehabt. Bloß … Er ist doch die ganze Zeit neben mir beim Fernsehen gesessen … nur einmal kurz raus … Nein. Nicht der Adolf …«
»Und später am Abend?«
»Den ganzen Abend sind wir beieinandergesessen. Nach den Nachrichten ist ›Wetten dass …?‹ gekommen, und das hat ja so lang gedauert … Und dann sind wir ins Bett.«
»Und der Adolf ist nicht ein einziges Mal raus? Zum Schiffen?«
»Ja freilich, wenn’s Handy geschellt hat, da ist er raus …«
»Wer hat denn angerufen?«
»Keine Ahnung!«
»Wirklich keine Ahnung?«
»Nein.«
»Hatte er Freunde?«
»Ja, im Dorf, die Männer halt.«
»Ich meine richtige, einen oder zwei, mit denen er gesoffen hat.«
»Die saufen alle.«
»Ja, ich mein, mit denen er mehr als gesoffen hat, echte Freunde …«
Johanna kreuzte
Weitere Kostenlose Bücher