Kruzifix
an meine Oma und mein glanzloses Examen in Ansbach erquickten mich.
Dr. Graf erschien wieder. Der blonde Engel.
Siebzehn Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir …
»Wir machen jetzt noch einen Nasenschutz. Eine Art Schiene. Damit die Nase wieder gerade zusammenwächst. Schöner als vorher.«
Sie brachte eine Nasenschiene daher, eine Maske.
»Da schau ich ja aus wie der irre Typ aus ›Das Schweigen der Lämmer‹, der Hannibal Lecter. Oder das ›Phantom der Oper‹.«
»Schönheit muss leiden.«
»So kann ich doch nicht unter die Leut gehen!«
»Sollen S’ auch nicht. Ein paar Tage Bettruhe brauchen S’!«
Sie legte mir die Schiene um. Wie eine Maske.
»Vielleicht denken die Leute, ich bin ein Fußballer, die haben manchmal auch so was. Der Ballack zum Beispiel …«
»Ja, das denken die Leut. Sicher. Wenn s’ blöd sind. In der Altherrenmannschaft eine Gesichtsmaske.«
»Ich habe Rechtsaußen gespielt. Ich konnte immer schon schnell laufen.«
»Das sollten S’ jetzt auch. Schnell weglaufen.«
Sie hatte recht.
Ich schüttelte ihr die Hand zum Abschied.
Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände.
»Sie haben mir sehr geholfen.«
»Dafür sind wir doch da«, sagte sie artig. »Ohren, Nasen … alles.«
»Nein, das muss gesagt werden: Sie haben mir sehr geholfen. Nicht nur mit der Nase und dem Ohr …«
Sie schaute nach Fragezeichen aus.
Ich sagte:
»Ich habe ihn gefunden.«
»Wen? Den Sinn des Lebens? Den Erlöser?«
Ich: »Den Mörder.«
Sie sagte:
»Passen S’ auf sich auf!«
Ich wunderte mich, dass sie sich nicht wunderte.
Ich wusste, wer der Mörder war.
Dachte ich.
»Glaub nicht alles, was du denkst.« Aufschrift auf einer Karte mit einem Esel drauf. Lustig. Geschenk von jemandem, der mich kennt.
Aber ich wusste nicht, warum sich die Dr. Graf nicht wunderte, und warum sie nicht mehr so geschnappig war, sondern sehr freundlich, und ich wusste nicht, warum ich auf einmal in der Redaktion vom Kemptener Tagblatt so beliebt war.
Immerhin wusste ich, warum ich eins auf die Nase gekriegt hatte. Aber ich hatte sie schon zu tief hineingesteckt, in den Dreck, der mich nichts anging.
Sollte ich aufgeben?
Die Warnung war klar. Der Profi kann mich jederzeit abschlachten.
Wie eine Sau.
Es fing schon wieder an, hell zu werden, als ich zurück auf die Alm kam. Gott sei Dank. Hell. Ein paar Stunden Schlaf.
Dachte ich.
»Glaub nicht alles, was du denkst.«
Esel!
Totenmesse
Ich war gerade eingeschlafen.
Es läutete.
Sturm.
Ich schleppte mich die Treppen runter.
Öffnete die Tür.
Meine Nachbarin. Schaute mich entgeistert an. Sagte:
»He, was ist denn mir dir los?«
»Was soll los sein?«
Sie schaute immer noch entgeistert auf mein Gesicht.
Ich hatte vergessen: Ich trug die Maske noch.
»Ah, so«, sagte ich. »Schönheitsoperation.«
»In deinem Alter?«
»Schönheit ist zeitlos.«
»Aber nur die, die von innen kommt.«
»Ja, schellst du jetzt mitten in der Nacht wegen meiner Schönheit? Ich brauch nicht schon wieder Haarschneiden.«
»Nein! Der Adolf!«
»Was ist mit dem Adolf?«
»Er ist verstorben. Heut Nacht.«
Ich dachte:
Das passt. Wenigstens hat er noch gebeichtet. Aber ist eine Lügenbeichte besser als gar keine – oder schlimmer?
Ich sagte:
»So, so.«
»Und die arme Johanna. Im dritten Monat schwanger. Übermorgen ist Beerdigung. Und die Johanna muss alles herrichten. Sie ist doch Messnerin. Ist das nicht furchtbar, für die Totenmesse vom eigenen Mann die Kirche herrichten … Die arme Johanna.«
Meine Nachbarin weinte. Als wäre sie mit der Johanna verschwistert oder verschwägert. Warum nimmt sie das alles so mit? Dachte gar nicht, dass sie so weinen kann.
Ich sagte:
»Die Toni wird ihr beistehen.«
»Wieso die Toni?«, sagte sie feindselig.
»Weil die Toni die beste Freundin von der Johanna ist. Und schwanger ist die Toni ja auch.«
»Was hat das damit zu tun? Das geht doch keinen was an. Ich wollt auch nur sagen …«
»Schon recht. Dank dir schön!«
Was war da schiefgegangen in unserem Gespräch?
Das ganze Dorf war in der Kirche. Große Messe. Für den Messner.
Der Pfarrer von Marktl, Hochwürden Xaver Maria Guggemoos, zelebrierte.
Ein grauhaariger Organist aus Kempten spielte die Orgel. Sind alle Organisten grau?
Die Frauen tupften sich mit ihren Taschentüchern die Tränen von den Augen.
Die Männer saßen hinten und schnäuzten sich.
Ich saß wie ein Fremdkörper mit meiner Maske am Rand der langen Kirchenbank, das
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