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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Notarzt.
    Zu spät.
    Dann fing ich an zu heulen.
    Dachte an meine Mutter im Pflegheim.
    Heulte noch mehr.
    Heulte mich in den Schlaf.
    Wo war der Dr.   Bär geblieben? Psychoanalytiker. Pfr. Dipl. Psych. Dr.   phil. B . A ., M . A ., M . A . P . P . S ., ANZACPE , DPG , DGPD , DG f P … Die Buchstaben waren weniger wert als die Nudelbuchstaben einer Nudelbuchstabensuppe, die man ins Klo schüttet.
    Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe.
    Denkste.
    Heulen und Zähneklappern.
    Die Sirenen hörten eine nach der anderen auf. Meine Gedanken auch.

Pro Familia
    Am nächsten Morgen suchte ich die Praxis von Dr.   Marie Curie in Kempten.
    Die bekannte gynäkologische Praxis.
    Von Pro Familia wärmstens empfohlen.
    »Was wollen Sie denn hier?«, fragte die Sprechstundenhilfe.
    »Ich bin der Liebhaber von der Frau Doktor. Ich kann’s nicht mehr erwarten, sie zu … Sie verstehen? Die Liebe, die Liebe, ist eine Himmelsmacht …«
    Sie schaute mich mit offenem Mund an. Sie hatte wunderbare weiße Zähne. Hätte beste Chancen in jeder Zahnarztpraxis gehabt. Leuchtend weiße Reklame. Was machte sie in der Gynäkologie? Na ja, ihre Lippen waren auch sehr sinnlich. Rote Lippen soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da … Silikonlos sinnlich. Noch.
    Ich sagte:
    »Kleiner Scherz. Ich möchte die Ärztin sprechen. Es geht um eine existenzielle Angelegenheit.«
    »Um was?«
    Wer solche Zähne hat, braucht kein Hirn.
    »Um Leben und Tod!«
    »Das geht nicht. Sie ist voll beschäftigt bis Mittag.«
    Ich hielt ihr meinen Pro-Familia-Ausweis vom Bistum hin.
    »Ach so, das ist was anderes.«
    Fünf Minuten später war ich im Untersuchungszimmer der Frauenärztin. Mit dem gynäkologischen Stuhl. Gott, ich danke dir, dass ich keine Frau bin. Ich würde mich lieber zu Tode schämen, als mich so untersuchen zu lassen. Ich gehe schon seit zwanzig Jahren nicht mehr zur Prostata-Vorsorge. Weil ich meinen Plastikbrunzbecher nicht wie eine Monstranz durchs volle Wartezimmer tragen will, und weil ich vor den jungen Dingern mit weißen Kinderzähnen und Push-up-Wonderbras nicht meine Hosen runterlassen will, und weil ich mir nicht vom Urologen den Finger in den Hintern stecken lassen will. Und die jungen Dinger schauen, als sähen sie nichts. Stimmt. Aber das Problem ist: Ich sehe mich.
    Das dachte ich. Ich sagte:
    »Ich brauche einen Aids-Test. Anonym. Für eine junge Frau.«
    »Dann soll die junge Frau halt kommen.«
    »Es geht um höchste Diskretion.«
    Sie schaute auf mein Kärtchen.
    »Vom Bistum. So, so … Dann so wie immer?«
    Ich wusste nicht, wie »so wie immer« ging. Ich sagte:
    »Genau so.«
    Sie sagte:
    »Dann bringen Sie die junge Frau vorbei. Samstagvormittag. Hintereingang. Zwölf Uhr Mittag. Dauert nicht lang.«
    »Und wann kommt das Ergebnis?«
    »In dem Fall Montagfrüh.«
    »Gut. Vielen Dank.«
    »Gern geschehen.«
    So leicht war das also.
     
    Aus dem Grunde konnte ich am Montag nicht bei der Beerdigung vom Toni sein. Ich war in der gynäkologischen Praxis. Ergebnis abholen. Wurde nur persönlich gemacht. Nicht mal telefonisch. Damit niemand was erfährt. Geheimnis des Glaubens.
    Immerhin kam ich rechtzeitig zum Leichenschmaus im »Schwarzen Adler« an. Es war Nachmittag, die Messe war um dreizehn Uhr gewesen, volles Haus. Volles Haus auch im »Schwarzen Adler«. Es wurde über alles Mögliche geredet, nur nicht über die Umstände von Tonis Tod. Seine Frau, die Toni, war blass, aber gefasst. Ihr zur Seite stand und saß ihre beste Freundin, die Johanna.
    Ich gab der Toni die Hand, sagte:
    »Negativ.«
    Die Toni wurde auf der Stelle ohnmächtig und rutschte vom Stuhl untern Tisch.
    »Die Schwangerschaft«, sagte Johanna, und alle sagten: »Ja, die Schwangerschaft und der Stress, furchtbar, das ist kein Wunder.«
    Ich erfuhr, dass der Pfarrer Xaver Maria Guggemoos es sehr schön gemacht habe, diesmal ohne Zwischenfall wie beim Adolf, weil der Toni nicht mehr zwischenfallen konnte. Er war gut aufgehoben in seinem Sarg. Der Geistliche hatte in seiner Ansprache gesagt, dass schon wieder ein tüchtiger Mann gestorben sei, der Toni, der zweite nach dem Adolf, in so kurzer Zeit, und ich wunderte mich, warum er den dritten ausließ, seinen Kollegen Theo Amadagio, aber vielleicht galt der trotz Erschlagen, Erhängen und Herzstillstand nicht als sterblich, oder aber nicht als tüchtiger Mann. Beide Männer, habe er gesagt, seien Opfer einer furchtbaren Krankheit geworden, der eine des Körpers, der andere der Seele.
    Damit

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