Kruzifix
ausgefahren gehabt?«
»Er wollte mich ummähen.«
»Und wer?«
»Im Rückblick bin ich sicher, es war der Toni. Ich sah, dass der Fahrer eine lange Mähne hatte, dachte, vielleicht war eine Frau am Steuer, vielleicht die Johanna. Die Frau vom Messner. Oder die Frau vom Toni. Die hab ich auch schon mal mit Pferdeschwanz gesehen. Aber dann erinnerte ich mich, dass der Toni auch einen Pferdeschwanz hatte.«
»Dürftiges Indiz!«
»Stimmt, aber Kleinvieh macht auch Mist. Der nächste Hammer passierte am Sonntagabend. Ich war beim Volksfest in Mühltal, der Toni war auch da, und der Adolf, und als es Nacht wurde, bin ich heim. Alle waren ziemlich blau. Ich auch. Im Wald hat mich der Toni eingeholt und mich fast erschlagen. Mit einer Axt. Wenn er nicht so besoffen gewesen wäre, hätte er es auch geschafft. Ich lag schon auf der Schlachtbank. Aber ich bin noch einmal davongekommen.«
»Sie waren wahrscheinlich bayerischer Meister im Ringen oder Karate.«
»Nein, Fußball genügt. Ich bin in letzter Sekunde aufgesprungen und hab einen super Abschlag in seine Eier gemacht.«
»Au!«
»Ja, das hat er auch gemeint. Etwas lauter und länger.«
»Aber es beweist noch nichts!«
»Richtig. Das dritte Indiz ist an meiner Nase zu sehen.«
»Ja, noch ein bisschen geschwollen.«
»Und tut gescheit weh! Immer noch. Jemand besuchte mich nachts auf meiner Alm. Als ich die Tür aufmachte, bekam ich eins auf die Nase.«
»Von wem?«
»Wusste ich auch nicht. Ich fuhr wieder ans Kemptener Klinikum. Ihre … na ja … Bekannte, die Dr. Graf, hat mir den Clou gegeben. So was kann nur ein Fachmann, hat sie gesagt. Und von meiner Friseuse, die zugleich meine Nachbarin ist, wusste ich, dass der Toni Metzger gelernt hatte. Und von seiner Frau auch.«
»Warum hat er das gemacht?«
»Er wollte mich einschüchtern. Er wollte mich nicht umbringen. Die Geschichte mit der Axt nach der Kirchweih in Mühltal war Affekt. Da ist ihm die Sicherung durchgebrannt. Wenn er mich hätte umbringen wollen, hätte er es leicht gekonnt. Nein, er wollte mich einschüchtern, er wollte, dass ich aufhöre, meine Nase in die Sache zu stecken, damit nichts rauskommt. Und zwei Morde hätten sich vor Gericht noch schlechter gemacht als einer. Wirklich durchgedreht ist er dann, nachdem ich dem Adolf die Beichte abgenommen und die Letzte Ölung gegeben habe.«
»Sie?«
»Ja, ich bin doch ordinierter Geistlicher, wie Sie. Mit dem Adolf ist es zu Ende gegangen, das hab ich gesehen. Er hat mich zu sich kommen lassen ins Krankenhaus und mir alles ›gestanden‹. Angelogen hat er mich: dass er es war, der den Theo erschlagen und aufgehängt hat. Und dass er mir die Leiter unterm Hintern weggestoßen hat. Und dass er mich ummähen wollte, wie ich nachts heimging. Alles erstunken und erlogen. Er war zu schwach, um den Theo umzubringen und aufzuhängen, und von seiner Frau weiß ich, dass er an dem Abend, als ich das Aufhängen ausprobiert habe, mit ihr die ganze Zeit beim Fernsehen war. Er muss gemerkt haben, dass ich gemerkt hab, dass er mich angelogen hat …«
Rössle schüttelte den Kopf.
»Als ich von dem halbtoten Adolf weg bin, hab ich den Toni ins Krankenhaus gehen sehen. Ich vermute, der Adolf hat dem Toni alles erzählt und ihm auch gesagt, dass ich ihm seine Beichte nicht wirklich ›abgenommen‹ habe. Ich hab ihm seine Sünden vergeben, aber geglaubt hab ich ihm nichts. Daraufhin musste der Toni schauen, wie er mich davon abbringt, weiter nachzuforschen. Deshalb hab ich eins auf die Nase gekriegt.«
»Langsam«, sagte Rössle, »warum hat der Adolf gelogen? Er hat ja damit praktisch den Toni aus dem Schneider gebracht. Er hat ihn mit seiner verlogenen Beichte völlig entlastet. Warum?«
» Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Johannes, Kapitel fünfzehn, Vers dreizehn.«
»Das versteh ich nicht. Da brauch ich Nachhilfe. Theologisch.«
»Ganz einfach. Adolf und Toni waren Freunde. Gute Freunde. Sehr gute Freunde. So gute Freunde, dass der Adolf sein Leben für seinen Freund gegeben hat. Was nicht so heroisch war, denn er musste sowieso dran glauben. Krebs. Terminal. Final. Aus. Er lag schon auf dem Totenbett. Aber auch den Krebs hatte er vom Freund, sozusagen.«
»Noch mal langsam: Die beiden waren Freunde, und der Adolf wollte den Toni raushauen, weil er sowieso schon sterben musste?!«
»Ja, er dachte sich wohl, wenn ich schon sterben muss, kann ich auch gleich die ganze Schuld mit ins Grab
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