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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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Phantom der Kirche, der Lecter aus dem »Schweigen der Lämmer«. Meine Nase war noch so zugeschwollen, dass ich den Weihrauch nicht riechen konnte.
    Johanna und ihre beiden Kinder saßen in der ersten Bank. Neben der blonden Johanna die schwarze Toni. Sie hielt ihrer Freundin Johanna die Hand.
    Am traurigsten von allen schaute der Christus von seinem Kruzifix herab. Vor vierzehn Tagen noch hing dort der Priester Theo Amadagio. Dann ich.
    Hochwürden Xaver Maria Guggemoos hatte keine Ahnung, wie sollte er auch. Er wedelte mit seinem Weihrauchkessel.
    Lesungen.
    Schluchzen.
    Schnäuzen.
    Ansprache.
    »Es hat Gott, dem Herrn gefallen …«
    Mitten im Satz stürmte ein Mann durch die Mitte nach vorne.
    Schrie hysterisch:
    »Es hat Gott nicht gefallen! Es hat Gott gar nicht gefallen …«
    Der Mann riss dem Priester das Mikrophon aus der Hand, schrie hinein:
    »Gott hat ihn gestraft. Gestraft hat er ihn … den Verbrecher … den Mörder hat er …«
    Die Leute waren gebannt, gelähmt.
    Kinnladen unten.
    Kollektiver Atemstillstand.
    Mein Herz hämmerte in meiner zerbrochenen Nase.
    Der irre Mann hatte einen Pferdeschwanz. Aus seinem zahnlosen Mund kam:
    »… er war’s … er … er hat den Teufel aufgehängt … er … er … er war’s …«
    Seine Stimme wurde brüchig, dünn, weinerlich.
    »… er war … mein bester Freund … ich hab ihn … so …«
    Er heulte auf wie ein Hund, den man totschlägt, und brach dann zusammen.
    Das brach den Bann.
    Männer schleppten ihn hinaus in die Sakristei.
    Der Priester nahm das Mikrophon wieder an sich, sagte, wie sehr uns alle dieser Tod mitnimmt, und wie sehr wir alle der Erlösung bedürfen.
    Stimmt.
    Der Leichenschmaus im »Schwarzen Adler« begann beklommen und bedrückt. Ein paar Biere, ein paar Schnäpse halfen.
    Der Leichenschmaus wurde, wie alle Leichenschmäuse, ganz belebt und lustig.
    Er ging bis in die Nacht hinein.
    Sogar der Toni war mit dabei und so sturzbetrunken, dass er mir zuprostete. Er war der Einzige, der mir zuprostete. Schließlich hatten wir auch die intimste Verbindung von allen. Ins Gesicht geschrieben. Beiden.
    In dieser Nacht schlief ich schnell ein. Keine Angst. Einfach erschöpft. Von den Schmerzen.
    In der Nase.
    In der Seele.
    Ich hatte genug.
    Aber jetzt war es auch vorbei.
    Ich konnte meinen Fall beschließen. Mit einer glaubwürdigen Geschichte. Mit dem toten Adolf als Mörder seines verhassten Chefs. Sogar mit Motiv. Messner erschlägt Priester aus Eifersucht.
    Ja, es war vorbei.

Eine Frau sieht rot
    Mitten in der Regennacht läutet die Klingel. Sturm. Hört nicht auf.
    Ich springe auf, schlaftrunken.
    Erster Gedanke: Das ist der irre Toni. Jetzt macht er mich fertig.
    Ich nehme mein Handy. Notruf. Polizei. Speichere die 110 rufbereit ein. Damit ich sofort die grüne Taste drücken kann. Falls ich dazu komme.
    Reiße das Fenster auf.
    Regen peitscht mir ins Gesicht. Das weckt auf!
    »Ja, wer ist da?«, rufe ich durch den Gewitterregen.
    »Mach auf«, ruft eine Frauenstimme.
    Wachet auf, ruft uns die Stimme …
    »Mach auf. Ich bin’s.«
    Wer auch immer »ich bin’s« ist, es ist nicht der Toni.
    Es ist die Toni.
    Die nassen Haare kleben ihr aufgelöst im Gesicht. Irrer Blick. Panik.
    »Komm rauf«, sage ich.
    Ich habe mein Schlafgewand an.
    Marathon-Finisher-T-Shirt.
    Boxerhose.
    Barfuß.
    Sie auch. Barfuß. In der Hand ein weißes, blutdurchtränktes Tuch.
    Sie zittert am ganzen Körper.
    Ich denke: Die schnappt jetzt gleich über.
    Ich sag:
    »Hock dich hin. Trink was, sonst schnappst du noch über.«
    Sie schluchzt, schreit ab und zu:
    »Nein! Nein! Die Sau!«
    Ich schenke Obstler ein.
    Schütte ihn mit einem Schluck hinunter.
    Schütte nach.
    Reiche ihr das Glas.
    Sie kann es nicht halten. So zittert sie.
    Ich setze es an ihre Lippen, schütte ihr den Schnaps hinein, der Schluckreflex sorgt dafür, dass sie das meiste trinkt.
    Den Rest spuckt.
    Hustet.
    »Was ist passiert?«, frage ich, hocke mich ihr gegenüber auf einen Bauernstuhl.
    Sie schaut mich glasig und abwesend an.
    Hält mir das Tuch hin, das blutgetränkte.
    Mir graust, ich nehme es gegen meinen Willen. Öffne es.
    Erstarre.
    Springe auf, stürze zum Klo.
    Kotze.
    Schon wieder.
    Gehe zurück in die Stube.
    Sie schaut mich entgeistert an, ich schau sie entgeistert an.
    Noch ein Schnaps.
    Ich kann nicht eingießen, meine Hände zittern, beide, unkontrolliert.
    Ich greife die Flasche mit beiden Händen, das geht noch, setze die Flasche an den Mund, meine Zähne

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